Es ist eine der wohl umstrittensten Inseln in Europa. Mit diversen Klischees von lärmenden Ballermann-Touristen, einer kruden Bespaßungsmaschinerie und Sangría aus Eimern kratzt man jedoch nur an der Oberfläche von Mallorcas touristischem Reichtum.
Denn fernab der Playa de Palma gibt es sie, diese schönen Flecken auf der Insel, die den meisten Besuchern unbekannt bleiben, die aber allemal einen Besuch auf der Insel rechtfertigen. Im Endeffekt ist Mallorca wie viele andere Flecken auf dieser Welt, wie etwa Berlin. Auch in Berlin mag man nicht jede Ecke, andere liebt man hingegen heiß und innig.
Aber zurück zu Mallorca. Angekommen am Flughafen waren wir zunächst doch etwas irritiert angesichts der Herrengruppierungen, welche sich in mühevoller „Kleinstarbeit“ Partyuniformen erstellt haben und nun lauthals mit Hilfe von Megaphonen ihre Männlichkeit der Welt verkündeten.
Zum Glück befreite uns der mallorquinische Fahrer alsbald aus unserer Orientierungslosigkeit und brachte uns zum Wagen. Wir ließen Palma hinter uns und fuhren durch kleine, süße Dörfchen, entlang schmaler Landstraßen hinauf in die Berge.
Immer stärker präsent wurden jene Farben, welche unsere nächsten Tage dominieren sollten. Erdrot, das matte braun und olivgrün der Olivenbäume, das Sandgelb der Steine und ausgetrocknete lehmfarbige Erdbrocken. Im Nationalpark angekommen, führte die mittlerweile sehr in Mitleidenschaft gezogene Straße durch dichten Wald. Von oben herab regnete es weiße, federartige Samenkörner, welche in Kombination mit den Bäumen und der Sonneneinstrahlung an eine Feenlandschaft erinnerten und uns so auf eine einzigartig schöne Welt hinter der Welt einstimmten.
Zwischen Felshügeln gelegen, erreichten wir schließlich unser völlig von der Außenwelt abgeschottetes Hotel. Ein wenig erinnerte das Panorama an diese Filme, in denen hinter geheimen Höhlendurchgängen eine versunkene Urwelt lag. Hier sollten wir also die nächsten drei Tage verbringen.
Es handelt sich um die Berge der Serra de Tramuntana, einen Gebirgszug im Nordwesten der Insel, welcher von der UNESCO 2011 zum Welterbe erklärt wurde. Auf einer Gesamtfläche von 1.067 km² erstreckt sich eine atemberaubende Landschaft von kahlen Felsformationen und reichhaltig bepflanzten Tälern.
Das Hauptgebirge nimmt den gesamten West- und Nordwestteil Mallorcas ein und steigt am Puig Major, der höchsten Erhebung Mallorcas, bis auf 1445 Meter empor. Am Fuße des Puig Major liegen die Trinkwasser-Speicherseen Embassament de Cúber und Embassament des Gorg Blau, welche ihr überschüssiges Wasser über den Torrent des Gorg Blau in den Canyon Torrent de Pareis abführen.
Wie man sich leicht vorstellen kann, ist das Wandern in dieser abgelegenen Welt ein Genuss für das Auge und den Geruchssinn. Besonders am frühen Abend legte sich ein Duft von Olivenhainen, Pinien und Gräsern über das Tal, den man besonders intensiv auf dem Boden liegend erleben kann. Wenn wir nicht gerade auf dem Boden lagen, wanderten wir entlang der schmalen Pfade und genossen die Geräuschkulisse, die vielfältige Pflanzenwelt und vereinzelte Bachläufe. Zur Mittagszeit sorgte ein kleines Mahl aus Wasser, Wein, würzigem Brot und unvergleichlichem Iberoschinken für die nötige Stärkung, um Energie für den restlichen Tag zu schöpfen.
Die Serra de Tramuntana ist im Wesentlichen von vier Hauptcharakteristika geprägt: einer Landschaft von kargen, schroffen Felsformationen, die von einem dichten Geflecht aus Flüssen, ausgetrockneten Flussbetten, Wildbächen und tiefen Schluchten durchzogen ist, einem mediterranen Einflüssen unterworfenen Klima, das sich durch heiße Sommer, milde Winter und ein unregelmäßiges Niederschlagsbild auszeichnet, einer immergrünen Vegetation, die von den seltenen, sturzbachartigen Regenfällen eine ganze Weile überleben kann und einer Fauna, die durch die Abgeschlossenheit des Ökosystems innerhalb der Berge artenreich und einzigartig ist.
Eingebettet in diese intakte und beinahe unberührte Natur, liegen die kleinen, steinernen Dörfer, deren Bewohner, meist Bauern und Handwerker, fest an den Traditionen der Gegend festhalten und sich vieler moderner Neuerungen erwehren. Die Bauwerke der Serra de Tramuntana datieren teilweise bis in die Römerzeit zurück, sind meist grob aus dem Fels gehauen oder aus kantigen Steinen zusammengesetzt und sind schonend in die natürliche Peripherie gesetzt. Das kostbare Gut Wasser spielte aufgrund von klimatischen und kulturellen Bedingungen durch die Zeit eine gewichtige Rolle für die Bewohner der Serra. Zahlreiche Stauseen, Kanalisationssysteme und Brunnen zeugen vom Kampf um eine zureichende Wasserversorgung dieser kargen Landschaft.
Diese Seite der Baleareninsel entdecken zu dürfen, war eine ebenso ungewohnte wie kostbare Erfahrung für uns. Das „Hinterland“ der Insel ist ein schlagendes Argument für all jene, die Mallorca vom schlechten Image der reinen Partyinsel reinwaschen möchten und sich einen Urlaub in sehr ursprünglicher Atmosphäre wünschen.
