Zeit ist etwas, von dem ich gern viel viel mehr hätte. Weil man mit ihr so tolle Dinge anstellen kann. Dem Stress eine mitgeben zum Beispiel. Gute Sache. Und Grund genug, mich auf die Suche nach der verlorenen Zeit zu begeben…

Was man nicht alles sollte und müsste und möchte. Also nicht nur im Großen – das Internet ist ja voll von Schreibenden meiner Generation, die wichtige Fragen fragen. Liebe: Wann und wer und wie findet und behält man die große Version davon heute denn bitte schön? Kinder: Ja oder nein, wann, wie viele? Arbeit und Geld: Was und wie viel davon ist notwendig oder erstrebenswert? Und wie kriegt man das alles unter einen Hut?

Weil das aber noch nicht irre genug macht, gibt es außerdem die vielen kleinen Dinge, die man doch auch machen müsste: Schuhe neu besohlen lassen, Fenster putzen, Vorhänge anbringen und die gute alte Steuererklärung. Ach ja: Sport natürlich. Ganz wichtig. Leck mich fett am Arsch.

Und dann wären da dann noch all die Dinge, die man nun wiederum so gerne machen möchte: ein gutes Buch lesen, Oma besuchen, durchs Solebecken gleiten, Bilder aufhängen, leckere Dinge kochen, im Freiluftkino knutschen und einfach mal in der Koje liegen bleiben.

Alles geht nicht. Das ist nicht schön, aber auch kein Beinbruch. Ich für meinen Teil bleibe an den großen Fragen dran, versuche das ein oder andere von der Spaß-Liste unterzubringen und füttere mein schlechtes Gewissen in guter Regelmäßigkeit mit der fahrlässigen Nichterfüllung der meisten „kleinen Dinge, die man doch auch machen müsste“. Ich habe mir diese Priorisierung – wenn man das so sagen kann – ausgesucht. Und dennoch: Es nervt!

Nun kann man von Zeit zu Zeit genervt sein, mit den Konsequenzen lernen zu leben und seine Unzulänglichkeit in die mangels sportlicher Betätigung etwas zu weichen Arme schließen – oder man unternimmt Optimierungsversuche.

Die Optimierungsklassiker sind bekannt und auch in meinem Repertoire zu finden: So nenne ich etwa ein Monster von einem Ellipsentrainer aka eingestaubtes, quietschendes, 2x2m großes Sportgerät mein Eigen. Es steht seit zwei Jahren als Mahnmal neben meinem Bett. Auf dem Nachttisch daneben liegen zwei Bücher – das eine habe ich zur Hälfte gelesen, das andere zu zwei Dritteln. Nummer 2 gebe ich realistische Chancen. All die anderen Bücher, die ich im vergangenen Jahr wider besseren Wissens und dennoch mit einer gespannten und naiven Vorfreude gekauft habe, werden sehr wahrscheinlich nicht so viel Glück haben, ein derart exponiertes Plätzchen neben meinem Bett zu ergattern… Aber immerhin: Ich weiß sie in guter Gesellschaft – neben all den anderen Büchern aus den Vorjahren, die darauf warten, dass ihre große Zeit in meinem kleinen Leben kommt. Zeit, das ist ja genau das Ding, dass mir/uns/aller Welt immer einen Strich durch die Rechnung macht.

Und deshalb habe ich versucht, mal ganz pragmatisch an die Sache ranzugehen und mir die Frage gestellt: Woher bekomme ich mehr Zeit? Und siehe da, der zeitverschlingende Hauptübeltäter wurde ohne große Mühen aufgespürt: die Arbeit. Ich weiß, nicht gerade nobelpreisverdächtig, diese Erkenntnis, aber wie wir alle wissen, ist Einsicht noch immer der erste Weg zur Besserung. Erst wenn man erkennt, wo’s hapert, kann man auch versuchen, eine Lösung zu finden.

Diese wiederum konnte nun nicht darin bestehen, rotzcool zu kündigen. Das würde nämlich nicht nur die Antworten auf die großen Fragen des Lebens erschweren, sondern auch vielen der kleinen Dinge, die ich doch auch so gerne machen möchte, den Gar ausmachen. Da beißt sich die Katze nun also in ihren sprichwörtlichen Schwanz. Ohne Geld keine kulinarischen Genüsse, kein Solebad, kein Theater, kein Kino, ja noch nicht mal neu besohlte Schuhe. Ganz abgesehen davon, dass zu viel Zeit (mit sich selbst) ja ganz anderen Stress bedeuten kann. Aber über den muss ich mir ja, Gott sei Dank, derzeit nun wirklich keine Sorgen machen.

Zurück zum Thema: Wie bekomme ich mehr Zeit? Ich mach’s kurz: Ich habe mehr Geld auf dem Konto gegen mehr Zeit für mich eingetauscht. Viele Gespräche mit meinen Vorgesetzten waren nötig – und viel Geduld – bis ich (einen Teil von dem) hatte, was ich wollte: freie Freitage. Statt jeder Freitag ist es jeder zweite geworden, aber dennoch, es ist ein Segen! Nun klingt das möglicherweise wie ein Tropfen auf den heißen Stein – aber es ist so viel mehr! Heute ist ein solcher Freitag, ich bin – statt im Büro am Computer zu sitzen – bis 11 Uhr im Bett rumgekullert, habe gelesen und Nachrichten geschrieben, dann gemütlich gefrühstückt und jetzt diese Kolumne geschrieben, die bislang leider auch viel zu häufig ein Opfer des Zeitmangels geworden ist. Andere freie Freitage habe ich genutzt, um einen Unterlagenberg aus vier Jahren zu sortieren, ohne einen Hauch von schlechtem Gewissen mittags vom Bett in die Badewanne zu fallen, Schuhe zum Schuster zu bringen, DIE ZEIT zu lesen und mit zwei wundervollen Freundinnen durchs Solebecken zu gleiten und in der Sauna zu schwitzen.

All das hätte ich nicht geschafft oder nicht gemacht, wenn ich mir diese kleinen Zeitinseln nicht in mein Leben geholt hätte. Daher ist mein Appell heute kein weltbewegender, aber er hat das Potential, Glücksmomente und Erleichterung zu schaffen: Gebt dem Freitag sein Recht und macht seinem Namen alle Ehre!

Und am nächsten freien Freitag schlafe ich aus, lese mein Buch zu Ende und steige auf das Mahnmal neben meinem Bett.

 

>> Mit herzlichem Dank für das Foto an Elisabeth Rank

>> Mit herzlichem Dank für das Foto an Elisabeth Rank