“Not knowing is not a form of ignorance, but a difficult form of transcendence of knowledge.” – Deborah Hay

“Es ist eigentlich das Schönste, was es gibt – sowohl der Fehler als auch das Scheitern. Weil es eigentlich alle daran erinnert, dass der Mensch ein ziemlich verletzbares Wesen ist – und das in einer Welt, die die ganze Zeit performt, als hätte sie die Dinge im Griff.“ – Benjamin von Blomberg


Was gibt es, dessen ich mir gewiss sein kann – wovon kann ich behaupten, sicheres Wissen zu besitzen – welcher der flüchtigen Eindrücke, die in der Erfahrung flimmern, kann ich wirklich habhaft werden, sie gar mein Eigen nennen? Noch anders: Wie kann ich die Gewissheit haben, dass dasjenige Wissen, welches ich für gewiss halte, gewiss ist?

In vielen Vorstellungen schwirrt umher, es gäbe ein festes, klar umrissenes Ich, ein deutliches Selbst; fast so, als könne ich darauf innerlich zeigen, um zu sagen: Das bin ich – das ist Ich. Was folgt dem, wenn dieser Impuls nicht ausreicht, weil es nicht mehr ist als eine Vorstellung, die wie eine sanfte Geschichte der Schlaftrunkenen eingegeben wird, in der Hoffnung, ihre reine Wiederholung möge sie in Sicherheit wiegen – die betäubende Sicherheit, zu wissen wer mensch sei.

Wenn es doch nicht genug ist, welche Beschreibungen gingen darüber hinaus, zu begreifen, was ich meine, wenn ich „ich“ sage? Reicht es aus, Eigenschaften aufzuzählen, sie zu addieren und in ihrer Summe ein Ich zu finden, wenngleich ich weiß, dass Eigenschaften kollektiv geteilt werden, niemandem zu eigen sind. Kann ich mich in der Ansammlung meiner Handlungen selbst finden – wenn ich weiß, was ich getan habe, weiß ich, wer ich bin; ist Identität ein Zustand oder ein transitorischer Prozess, in welchem ich mich fortwährend identifiziere mit Dingen in der Welt und Teilen der Erfahrung und darin den Glauben fabriziere, all dies, was ich mir zuschreibe, das sei ich, das mache mich aus.


„Kann ich mich in der Ansammlung meiner Handlungen selbst finden?“


Abgesehen dieser suggestiven Fragen, die andeuten, dass die Suche nach dem Selbst sich als Spuk entpuppen, als Phantasma entblößen könnte – was wird abseits dessen getrieben, eben mit der Vorstellung, es gäbe dieses Selbst (welche eine andere ist, so meine ich, als die Vorstellung des Selbst selbst)? Mir scheint, es wird behandelt wie eine edle und teure Ware, ein Gut, das einen Wert darstellt, der als identitäres Kapital eingesetzt werden kann, ein soziales Kapital, das hilft, anderes Kapital zu fördern.

Ist es zugleich eine Verkürzung, einen Marktplatz heraufzubeschwören, der ausgestellt ist voller blank polierter Ichs, die blendend im Lichte ihres eigenen Glanzes erscheinen; die blind gegeneinander ihrer eigenen Verlockung unterliegen und allein um sich kreiseln, vakuumiert und deshalb endlos, ohne die Folgen der Schwerkraft fürchten zu müssen?

Das ruft den Sprech der Selbstoptimierung auf den Plan: Optimierung als die Maximierung von Leistung und Effizienz; angewendet auf den eigenen Organismus, ausgebreitet auf’s Schlafen und Wachen, aufgebläht bis in weite Bereiche des Daseins: Körper, Ernährung, Sexualität, Kommunikation, Psyche/Bewusstsein. Auf dass durch Ordnung und Struktur in der Alltagsorganisation jede Tätigkeit erfasst werden könne; auf dass bis hinein in die Nicht-Aktivitäten planmäßig eingegriffen würde, also versuchsweise in gemeinhin unverfügbare Refugien wie vegetativen Systeme und den Schlaf.

Ein Versuch, Felder zu besiedeln, die nicht grundlos nicht einer allseitigen Kontrolle unterworfen werden können. Mit dem Ergebnis der Illusion größter Nutzenmaximierung und höchster Effektivitätssteigerung, die, wenn erst entkleidet und damit als Irrtum sichtbar, den Umschlag ins Destruktive aufzeigt.

Eine solche Maxime der Optimierung ist sehr schnell sehr erschöpft, zumal wenn sie sich auf nichts richten kann und bloß in einem leeren Vorstellungsraum zirkuliert. Deshalb erschöpft, weil das Selbst hier nicht als Entität, als feste Struktur, als permanentes, mentales Objekt skizziert wird, weil Selbst (jetzt ohne Artikel) hier als eigener Prozess von andauernden Identifikationen, als fortwährendes, stetig auf’s Neue Identifizieren konzipiert ist.

Selbst bleibt damit eine Relation, ein Beziehungsgefüge, das aufgebaut und wieder aufgelöst werden kann. Wie dies geschieht in Gruppenidentifikationsprozessen, in denen ich mich mit einer Familie, einem Kreis, einer Nation in Bezug setze – oder nicht; wie es passiert, wenn ich bestimmte Werte und Überzeugungen als die eigenen betrachte – oder nicht.

Eine solche Maxime ist zudem sehr erschöpfend für einen Organismus, denn sie ist sich selbst nicht genug, reicht sich niemals aus. Das Optimum muss stets noch gesteigert, übertroffen und überboten werden. In dieser Logik gibt es keine augenblickliche Zufriedenheit, die zu verweilen in der Lage ist, weil sie ständig schon nach dem nächsten Ziel schielt, das wiederum keine Befriedigung zu verschaffen vermag, denn es wartet schon ein nächstes…


„Das Optimum muss stets noch gesteigert, übertroffen und überboten werden“


Erschöpfend, weil Leben auszeichnet – in einer Umwelt & Welt wie innerhalb der Erfahrung eines Menschen –, maßlos einer immensen Veränderlichkeit unterlegen zu sein, deren Merkmal es ist, im größten Teil unplanbar und unverfügbar zu sein. Noch das austarierteste System an Vorstellungen, das sich anschickt, in der Gegenwart auf die Zukunft (weitestmöglichen) Zugriff zu haben, versagt an den Unabwägbarkeiten, scheitert am Faktor der Unvorhersehbarkeit, zerbricht letztlich an der Komplexität von Realität, die nicht aufgeht im Gedanken.

Wie Wirklichkeit nicht aufgeht, so nicht Personen. Ein Versuch, der Reduktion bedeutet. Das Erfassen von sich selbst schneidet immer wieder ab von einer größeren Reichhaltigkeit, die keiner einzelnen Beschreibung sich fügt. Umgekehrt heißt das nicht, es nicht zu versuchen – es heißt nur, dass eine einzelne oder ein Set an Beschreibungen nicht ausreicht.

In der Zeit auf zahllose zugreifen zu können, nicht eine einzige zur allgemeinen Geltung zu erheben, ist ein Prozess, weil kontinuierlich, der vermutlich eine Fähigkeit wie der des Vertrauens der des Kontrollierens vorzieht. Schlicht, weil Kontrolle versucht, Sicherheit in der Gewissheit festzuhalten, die sich selbst nie gewiss sein kann, nie ganz, und deshalb ungewiss bleibt; Vertrauen kann – in welcher Praxis? – im Nicht-Wissen ruhen und braucht damit weder die Mittel der Überzeugung noch die der Konkurrenz – die Gewissheit des Ungewissen.

Wo Zeit ist, ist Progress. Schon ohne Zutun, ganz ohne Versuch und beizeiten ohne Absicht. Auch mit Absicht – wie lässt sich ein Fortschreiten des eigenen Tuns denken – und wie ausüben? –, bei dem nicht ein vermeintliches Ich zum Fetisch und zur Ware wird? Die alleinige Ansammlung von Erfahrung, ohne dass gezielt gesammelt werden müsste, gebiert Entwicklung, nicht notwendigerweise linear, nicht unbedingt zielgerecht und pünktlich. Das nur der Vorstellung entgegengesetzt, Entwicklung sei bloß eine Willensaktion.

Eher so, dass es einer klugen, behutsamen Balance bedarf, die sich sowohl der bewussten Reflexion wie auch dem unbewussten Zulassen (und dem Zulassen des Unbewussten) bedient, aber nicht allein forciert, was der Wille gebietet; wo zusätzlich das Kollektiv als soziales Korrektiv hineinspielt, weil das, wohin uns Entwicklung bringt, für ein Umfeld sichtbar erscheint und an uns wieder herangetragen wird, zurückkommt.


„Wie lässt sich ein Fortschreiten des eigenen Tuns denken und wie ausüben?“


Entwicklung kann bedeuten, dass eine Intensivierung von Qualität geschieht, eine qualitative Ausbreitung und Ausdehnung einer Tätigkeit und Wahrnehmung. Darin braucht der Raum nicht größer zu werden, ein solches Sich-Vollziehen – manchenfalls von selbst, ohne Selbst – kann Vertiefung meinen, das Eindringen in eine weitere Reichhaltigkeit, die für sich selbst genommen wird, ganz gleich ob eines nachfolgenden Absinken oder Aufschwungs.

Was im sprachlichen Alltag so oft so schwer erscheint: die Vermeidung oder das Übersteigen einer dualen Optik: dem Verhältnis solcher Paare wie gut/schlecht, gewinnen/verlieren, schön/häßlich. Eine Transzendenz von korsettierenden und drangsalierenden Begriffspaaren wäre in Kategorien wie Intensität, Reichhaltigkeit und Stimmigkeit insofern greifbarer, als dass sie zwar zu- oder abnehmen können, womöglich gar nicht stattfinden, doch bei weitem nicht in einer simplifizierenden Dyade aufzugehen vermögen.

Die Zufriedenheit mit dem, was ist, und der Wunsch nach Veränderung schließen sich nicht aus. Annehmen ist nicht Hinnehmen. Akzeptieren nicht Resignieren. Kein Ausschluss und kein Widerspruch liegen darin, weil das, was wird, aus dem, was ist, hervorgeht.