Die Zeit titulierte den Auftakt der vierten phil.cologne mit den Zeilen „Denken dürfen“ – Dass dieses Denken dieses Jahr solchen Anklang erleben würde, ich glaube, damit hätte keiner so recht gerechnet. 11.500 Besucher sind neuer Rekord bei der phil.cologne, dem Internationalen Festival der Philosophie, das seit vier Jahren einmal im Jahr in Köln stattfindet. Gestartet als „kleine Schwester“ der lit.cologne, hat sich die phil.cologne nun zu einer eigenen Größe und dem größten Philosophie-Festival Deutschlands gemausert – und das mit komplett bunt gemischtem Publikum. Knapp eine Woche fanden täglich mehrere Veranstaltungen mit Philosophen und Experten aus den verschiedensten Denk-Disziplinen statt.
Für mich ganz persönlich ist die phil.cologne eine Reise voller Lebenskunst-philosophischer Erkenntnisse durch den menschlichen Kosmos. Eine Reise zum Inneren des Sinns und des Seins und z. B. zu eben der schlauen Erkenntnis, dass „auch der Sinn atmen können muss“. Dieses Zitat stammt von Deutschlands bekanntestem Lebenskunstphilosophen, Wilhelm Schmid, dessen Gedanken bei der phil.cologne 500 Besucher lauschten. Auch wenn es hier eben nicht um Zahlen gehen soll, ist das dennoch ein bemerkenswerter Erfolg für die Philosophie und den dringend benötigten philosophischen Blick auf die Themen und die Fragen, die die Menschen der Moderne bewegen. Ich bin bei dieser phil.cologne diesen vier Fragen nachgegangen: Das Hume-Projekt – Streiten über Gott, was oder wer ist Gott im Islam, im katholischen Christentum und wie sieht ein Philosoph das? Sozialismus, eine gute Idee? Die Geschwindigkeit des guten Lebens, wie sieht die aus? Und:
Braucht mein Leben ein Ziel?
„Braucht mein Leben ein Ziel?“ – unter dieser Fragestellung stand das Gespräch zwischen Lebenskunst-Meister-Philosoph Wilhelm Schmid und Wolfram Eilenberger, Chefredakteur des Philosophie Magazins. Schmids simple Antwort auf diese Frage: Nein. Warum nein? Seit rund 200 Jahren leben wir im postteleologischen Zeitalter, in dem es laut Schmid keinen Platz für die innewohnenden Ziele gibt. Hier war stets die Religion zur Stelle und gab einfach vor, was diese Ziele sein sollen. „Liebe deinen Nächsten“ wurde hier immer groß geschrieben, dass der Zusatz „wie dich selbst“ unabdingbar für den „Erfolg“ der Liebe ist, das wurde einfach, wie so vieles, unter den religiösen Teppich gekehrt. Wie es da wohl aussehen mag? Nun ja, zurück zum Thema.
Ob es diese innewohnenden Ziele gibt oder nicht, das können wir eben nicht beweisen. Hier kann nur jeder für sich selbst aus der eigenen Erfahrung, aus dem eigenen Gefühl, dem eigenen inneren Antrieb heraus entscheiden, ob er sie hat oder nicht, ob er sie braucht oder nicht. Wenn ich also kein Ziel brauche, wie Schmid sagt, warum folgt auf diese Erkenntnis die ernüchternde Frage: Und was mache ich dann jetzt? Für Schmid ist das ganz klar: „Ziel ist eben ein Teil von Sinn.“ Das Ziel und der Sinn schaffen Zusammenhänge und Beziehungen zwischen mir und der Welt. Hier führt Schmid sein 4-Ebenen-Modell an, wie wir in Beziehung treten.
Die erste Ebene ist unser Körper. Jede sinnliche Erfahrung ist Beziehung zur Welt. Zwar „nur“ eine Momentaufnahme, aber eine ganz essentielle, weil wie die Wörter schon so schön sagen, unsere Sinne und unsere Sinnlichkeit eben mit dem Sinngewinn und der Sinngebung in Beziehung stehen. So erfahren wir Erfüllung beim Essen, beim Musik hören und/ oder beim Spaziergang durch die Natur. Wenn wir uns hierzu nur einmal bewusst machen, wie diese drei Bereichen wachsen, sich verändern …
Die zweite Ebene sind Beziehungen. Die Liebe, Freunde, Familie, Tiere und unsere Lieblingslobbies zählt Schmid hierzu. Hier ist auffällig, dass wir, wenn wir verliebt sind nicht nach dem Sinn des Lebens fragen. Haben wir hingegen gerade eine Trennung zu verkraften, dann wird die Frage, ob überhaupt noch etwas Sinn macht ziemlich laut. Da muss es ja einen Zusammenhang zwischen Liebe und Sinn geben. „Die Liebe ist nicht dafür da uns glücklich zu machen, sondern um Ärger zu stiften, damit es uns nicht langweilig wird,“ so Lebenkunstphil Schmid. Lassen wir das mal so dahingestellt.
Die dritte Ebene ist die geistige Ebene, auf der wir uns mit diesen wesentlichen Fragen beschäftigen: Kann ich meinem Leben ein Ziel geben? Wenn ja, welches? Und was soll ich tun? Hier merkte Schmid an, wer komplett ziellos lebt, der lässt sich treiben, oftmals, vielleicht in der Regel von Anderen treiben und mitziehen. Ob das gut oder schlecht ist, kann nur jeder für sich individuell entscheiden. Hier liegt aber eben der entscheidende Punkt, dass das eine Entscheidung ist, die man selber getroffen hat. Wenn ich mir hingegen ein Ziel wünsche und aber kein konkretes sofort finden kann, was wohl eins der Dilemmata der Moderne ist bei den vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten und den gleichzeitig immer enger werdenden Zeitfenstern, nun dann kann das Einschlagen in eine Richtung schon mal sehr hilfreich sein. Hier haben wir alle unseren Kompass intus, der uns genau dahin navigieren kann. Es ist die Intensität unseres Gefühls. Schmid ist überzeugt, dass unser Gespür für eine Sache, die Intensität dessen, uns in die Richtung bringt und wir uns daran orientieren können.
Wenn wir spüren, dass uns etwas berührt, dass mich dies oder jenes etwas angeht, dann ist das unser Wegweiser. Ich persönlich kann mich da Schmid nur anschließen und plädiere auch dafür genau auf diesen eigenen inneren Radar zu hören. Ich schaffe das am besten dadurch, dass ich mir ganz bewusst Timeslots nur für mich einbaue, dass ich jeden Tag eine gewisse Zeit mit mir ganz alleine verbringe, ob es beim Meditieren, beim Yoga oder bei einer Tätigkeit ist, die noch so absurd sein kann, aber eine Tätigkeit ist, die mich ganz individuell mit mir selbst wieder in Kontakt bringt. Bei mir ist das ein Spaziergang in der Natur, momentan Babyenten bestaunen im Park oder wenn ich in den Philosophie Vorlesungen in der Uni sitze. All das ist Zeit, die ich mir zur Besinnung gebe. Denn nur so kann der Sinn eben atmen. Atmen bedeutet empfangen und geben, anspannen und entspannen, tun und lassen. Und diese Aus-Zeiten im Lassen, die nur mir ganz alleine gehören, sind besonders wichtig für empathische und hochsensible Menschen. Glaubt mir, ich weiß wovon ich hier rede und wenn man das regelmäßig einbaut, wie ein festes Date mit sich selbst, dann kann man auch als empathischer, hochsensibler Mensch wieder atmen.
Zu guter Letzt kommen wir zu meiner Lieblingsebene, der vierten Ebene in Schmids Modell, der Ebene der transzendenten Zusammenhänge. Hier fragt sich der Mensch, was denn das Ziel des Ganzen überhaupt ist oder sein kann. Was ist der Sinn, das Ziel der Evolution? Der Sinn der Menschheit? Der Zweck der Menschheit in der Evolution? Schmid erklärte, dass die Natur nach Versuch und Irrtum vorgeht und dass es sowohl in der Natur als auch beim Menschen den Trieb gibt etwas entstehen und wachsen lassen zu wollen. Doch woher dieser Ur-Impuls kommt, das können wir nicht erklären. Er könnte zufällig sein, es könnte einen Ur-Schöpfer oder mehrere geben … Wir wissen es nicht. Jedenfalls experimentieren wir alle tagtäglich. Es könnte unser „Job“ als Mensch sein zu experimentieren, was alles geht.
Was gut ist, was schlecht ist, was welche Auswirkungen wodrauf hat und wie das alles zusammenhängt. In diesem Zusammenhang plädiert Schmid dafür, dass es unser individueller Job ist unseren eigenen Zweck, Sinn und Ziel durch Versuch und Irrtum herauszufinden. Er hält nicht viel von dem Ausdruck des „gelungenen Lebens“, er möchte vielmehr herausfinden, ob es nicht eine ganz neue Form der Lebenskunst geben kann und wenn ja, wie diese aussehen könnte. Leider hat er diesen konkreten Punkt nicht weiter ausgeführt. Er hat vielmehr noch erläutert, dass die Menschen früher gelitten haben, weil sie keine Wahlmöglichkeiten hatten und heute leiden wir, weil wir zu viele Wahlmöglichkeiten haben. Diese Entwicklung hat binnen eines halben Jahrhunderts stattgefunden. Das muss man sich einfach mal bewusst machen. Schmid folgerte und so beschreibt es ja z. B. auch der Buddha, dass Menschen immer an etwas leiden müssen.
Leid gehört wie die Freude zum menschlichen Leben, die Kunst bestehet darin, weder das Leid noch die Freude festhalten zu wollen. „Nicht immer so,“ hörte ich gerade heute noch von einem buddhistischen Meister. „Das menschliche Leben spielt sich in Phasen ab. Es läuft gut, wenn wir uns phasenentsprechend verhalten.“ Bleibt die Frage, wie denn aber nun die eigene Lebenskunst geschaffen werden kann? Schmid gibt da folgende Hilfestellung: Eine bewusste Lebensführung ist entscheidend. Das bedeutet, dass man eben nur einige Wahlmöglichkeiten ausprobieren kann, man muss einfach welche weglassen und einen gewissen Fokus setzen. Denn, und diesen Punkt finde ich super wichtig, jeder Mensch unterliegt Restriktionen, Begrenzungen und Einengungen, sei es physischer Natur oder im sozialen Kontext. Wir leben eben nicht allein und isoliert und wir sind nicht nur geistige Wesen, wir sind nun mal mit einem Körper ausgestattet, der ja eben auch unser Bezug zur Welt ist, s. Ebene 1 oben im Text. Wenn wir das akzeptieren, können wir Schritt für Schritt in unserem Leben voranschreiten und uns gemäß unserer Lebenskunst und unserer Ziele verwirklichen.
Dazu gehören auch Momente des ziellosen Flanierens, Momente der Reflexion, Momente des sich bewussten Zurückziehens, damit die Frage arbeiten und atmen kann, wo ich die oben beschriebene Intensität spüre? Was ist für mich das Schöne? Das Schöne bringt mich in diese intensiven Energiewallungen, in die Berührung mit mir und der Welt. Und dann habe ich die nötige Orientierung mein Ziel beschreiben und ansteuern zu können. Und dann kann auch die Frage bearbeitet werden, was ich dafür tun kann dieses Ziel zu erreichen. Vor allem sollten wir uns auch unsere Flexibilität bewahren, nämlich um unser Ziel zu konkretisieren oder zu ändern oder neu anzusteuern. Das meinte Schmid wohl mit seiner simplen Antwort, nein, wir brauchen kein Ziel in unserem Leben. Es ist eben nicht das eine große Ziel, sondern verschiedene Ziele in verschiedenen Lebensphasen.
Das war der erste Streich. Der zweite folgt fast sogleich. Im zweiten Teil des phil.cologne Reiseberichts trifft dann Lebenskunst auf Religion, Sozialismus und die Frage nach der „Geschwindigkeit des guten Lebens“. Eine Frage, die gerade wohl viele umtreibt…