WILLKOMMEN IN DELHI, DIE STADT DER TAUSEND TEMPEL
23 Millionen Menschen sollen im Großraum Delhi leben? Am Flughafen merke ich noch nichts davon. Wenig später sitze ich im Taxi zum Hotel und bin schon angekommen. Im chaotischen, heißen, feuchten, lauten, vollen, und manchmal stinkenden Delhi. Ich bin vieles gewohnt, doch diese Stadt verlangt mir schon jetzt einiges ab. Plötzlich wird mir klar, dass hier durchaus 23 Millionen Menschen leben könnten. Dazu kommen gefühlte 23 Millionen Autos, Motorräder, Rikschas, Tuk Tuks und natürlich Kühe, die ganz gemütlich auf dem Verkehrskreisel stehen, auf den ich mich um nichts in der Welt wagen würde.
Die Mehrheit der Einwohner Delhis sind Hindus, sie machen 82% der Bevölkerung aus. Dazu gesellen sich knapp 13% Muslime. Bei 17 Millionen Einwohnern und einer solch interessanten Geschichte wundert es nicht, dass das Stadtbild dann auch nochmal von knapp 10.000 Tempeln geprägt wird, deren wichtigsten ich in den folgenden drei Tagen einen Besuch abstatten werde.
Den Auftakt macht auch gleich einer der größten hinduistischen Tempel der Welt, der Akshardham Tempel. Seine Außenwände sind mit wunderschönem filigranen Relief verziert, welches Blumen, Gottheiten, Tänzerinnen und Musiker darstellt, während der Tempel selbst – einem spirituellen Oberhaupt des modernen Hinduismus, Swaminarayan, gewidmet – buchstäblich durch die Kraft von 148 Stein-Elefanten getragen wird. Als wäre der Tempel so nicht schon beeindruckend genug, beherbergt die Anlage auch einen Garten, in dem ich einen Stufenbrunnen finde, der abends einem ganz besonderen Wasserspiel Kulisse bietet und den Kreislauf des Lebens laut hinduistischer Mythologie darstellt. Der Tempel wurde übrigens erst im Jahr 2015 dank der Hilfe von 10.000 Freiwilligen und Kunsthandwerkern eröffnet. Das Wort ‚groß‘ bekommt damit bereits am ersten Tag in Delhi für mich eine neue Bedeutung. Kein Wunder, dass der Tempel es sogar in das Guiness Buch der Rekorde geschafft hat. Ein Wunderwerk, welches mit 234 verzierten Säulen, 9 Kuppeln, 20 Emporen und 20.000 Statuen nun als Wahrzeichen des Friedens gefeiert wird.
Der zweite Tag bringt eine Erkundungstour im Stadtteil Lutyens’ Delhi in Neu Delhi mit sich. Ein Viertel, dessen Gebäude maßgeblich von dem britischen Architekten Edwin Lutyens entworfen und auch nach ihm benannt wurden. Im Stadtteil, der zwischen 1912 und 1930 errichtet wurde, befinden sich knapp 1.000 Bungalows und er gehört heute zu den reicheren Wohngegenden der Stadt mit großen Boulevards, auf denen die mächtigsten Männer (ja leider fast ausschließlich Männer) Indiens flanieren. Hinduistischen und muslimischen Baustil sucht man zumeist vergeblich, schließlich wurde das Viertel zu Zeiten des britischen Empires errichtet. Die Nähe zum Regierungsviertel mit dem Präsidialgebäude und dem Parlamentsgebäude macht dennoch irgendwie Sinn. Die Rajpath, eine breite Prachtstraße mit einem Kreisverkehr, verbindet den Regierungspalast schließlich auch mit dem Indian Gate, ein Denkmal für die 90.000 im 1. Weltkrieg gefallenen indischen Soldaten.
Wer denkt, dass sich alle Menschen der extremen Armut der Stadt abwenden, hat falsch gedacht. Hier am Connaught Place, dem größten wirtschaftlichen und finanziellen Zentrum New Delhis, befindet sich auch der Gurudwara Bangla Sahib. Einer der bekanntesten Tempel der Stadt, der dem menschlichen Auge, dank seiner riesigen goldenen Kuppel und dem Fahnenmast, nicht entgehen kann. Beeindruckend ist nicht nur die religiöse, sehr lockere und tolerante Atmosphäre im Tempel selbst, sondern auch die Garküche dieses Tempels. Hier werden bis zu 25.000 bedürftige Menschen am Tag kostenlos verköstigt. Ein Ritual der Sikh Region, von dessen organisatorischer Raffinesse ich noch heute begeistert bin.
Es wundert kaum, dass wir den Tag mit einem Besuch am Denkmal eines Mannes abschließen, der noch viel mehr für das Land getan hat. Nordöstlich von Feroz Shah Kotla, an den Ufern des Yamuna erinnert ein einfacher Quader aus schwarzem Marmor daran, dass an dieser Stelle der Widerstandskämpfer Mahatma Gandhi nach seiner Ermordung im Jahr 1948 verbrannt wurde. Glücklicherweise ist der Raj Ghat mittlerweile ein schöner und von Leben blühender Park.
Imposant starten wir auch in einen weiteren Tag mit einem Besuch am Qutb Minar, dem höchsten Ziegelminarett seiner Art auf der ganzen Welt. Auf 73 Meter Höhe zeugt das Minarett in rotem Sandstein und weißem Marmor von der filigranen Steinmetzkunst indo-arabischer Architektur. 379 Stufen führen bis zum höchsten Punkt des Turm des Triumphs, welcher heute UNESCO Weltkulturerbe ist. Nicht weniger prunkvoll wird es anschließend in den Lodi Gärten, einer beeindruckenden 360.000 Quadratmeter großen Parkanlage mit Wasserläufen, gepflegten Pflanzen und uralten Gebäuden aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Wie treffend, dass sich ein Gebäude in unmittelbarer Nähe auch der Lotuspflanze – der Blüte der Reinheit – visuell nachempfunden wurde. Der Lotustempel ist der Bahai-Muttertempel für den indischen Subkontinent und fungiert als Haus der Andacht dieser Religionsgemeinde. Seit Fertigstellung 1986 wurde der Tempel übrigens von 50 Millionen Menschen besucht, was kaum verwundert, schließlich steht auch dieser wie alle Sakralbauten der Bahai den Anhängern aller Religionen offen.
Es geht jedoch noch größer und zwar in Old Delhi. Schließlich und zum Abschluss unserer Tage in der Millionenstadt besuchten wir auch das größte Bauwerk der Stadt, „Lal Quila“, was so viel wie ‚Rotes Fort‘ heißt. Dicke, rote Sandsteinmauern mit Türmen und Zinnen sind von einem breiten, ausgetrockneten Burggraben umgeben, welcher das Machtzentrum der Moguln einst vor Eindringlingen schützen sollte. Sie nutzten die Hallen einst für private und öffentliche Empfänge, erbauten hier Marmorpaläste, eine Moschee und legten kunstvolle Gärten an, die sogar dem Fort in Agra nachempfunden sind.
Nun könnte man in dem Fort auch einen Markt vermuten, doch falsch gedacht. Umgeben wird das Fort von Chandni Chowk, dem ältesten, größten und belebtesten Markt in Indien, auf dem schon über 300 Jahre reger Handel um Gewürze, Stoffe, Schmuck und jegliche denkbare Produkte getrieben wird. Unweit von hier findet sich übrigens noch ein Rekordhalter: Die Jama Masjid ist die größte Moschee des Landes, wurde nur wenige Jahre nach dem Bau des Red Forts in den Jahren von 1650 bis 1656 ebenfalls aus rotem Sandstein durch Shah Jahan erbaut und bietet Platz für Sage und Schreibe 20.000 Gläubige. Holy Moly Indien – geht es eigentlich noch Größer? Wahrscheinlich ja, in Agra!
Du warst nicht in Indien, wenn du nicht auch das Taj Mahal besucht hast! Recht haben all die Menschen, die diese Aussage in den Raum werfen. Natürlich nahmen auch wir die knapp 200 Kilometer nach Agra auf uns und besuchen das Monument der Liebe: den Taj Mahal. Der übrigens so viel wie Krone des Palastes heißt. Das 58 Meter hohe und 56 Meter breite Mausoleum, dass sich auf einer 100 mal 100 Meter großem Plattform am Fluss Yamuna am Stadtrand von Agra befindet dürfte bei jedem ein Bild im visuellen Gedächtnis hervorrufen, doch tatsächlich versteht man erst von der Magie des Ortes, wenn man einmal davor steht.
Der Großmogul Shah Jahan ließ den Bau zum Gedenken an seine im Jahre 1631 verstorbenen große Liebe Mumtanz Mahal beauftragen, der unglaubliche 22 Jahre dauerte obwohl knapp 20.000 Menschen daran arbeiteten. Das Ergebnis lässt sich sehen: Das Gebäude besteht ebenso wie die Kuppel und Minarette aus vor Ort gebranntem Ziegelstein, die innen wie außen mit Marmor verkleidet sind. Die Herrschergräber bestehen aus einem Marmorblock, die in perfekter Symmetrie um das Taj Mahal sich erhebenden Minarette rahmen das Grabmal mit ihren 40 Mete hohen Säulen ein. Und im Lotusbecken spiegelt sich das Mausoleum. Hier wurde geklotzt nicht gekleckert – wahrscheinlich wäre Agra ohne das Taj Mahal eine unbedeutende Stadt geworden.