Hallo Stress!

Dicker i-ref-Relaunch und ’ne neue Kolumne. Meine neue Kolume! Und was soll die? Knallen soll die! Vor allem dieser Text, der erste seiner Art, der mein neues Baby vorstellt und damit Erwartungen schafft – oder eben im Keim erstickt… Die Folge: Erwartungsdruck – eine Form von Stress. Und darum soll es hier gehen: Stress. Woher kommt er? Was macht er mit mir? Und vor allem: Wie kann ich gegensteuern, was entstresst mich?

Stell Dir vor, Du sitzt am Schreibtisch, vor Deinem inneren Auge ´ne To-do-Liste bis nach Jericho und an Deinem äußeren Auge zuckt’s. Nicht einmal, nicht kurz, nicht unmerklich, nein, drei Monate lang, jede Stunde, minutenlang ohne Unterlass, so stark, als würde ein kleines, mieses Männchen auf Deinem linken, unteren Augenlid sitzen und mit einem süßen, kleinen Xylophon-Hämmerchen gegen ebendieses Lid dreschen. So geschehen, in der Chausseestraße in Berlin, 2. Hinterhof, von September bis November 2014, in meinem Gesicht.

Das Zucken der anderen

Nun sind zuckende Augenlider kein seltenes Phänomen – jeder, dem ich davon erzählt habe, wusste davon ein Li(e)d zu singen. Rechts, links, oben, unten – rund um die Augen meiner Kollegen und Freunde hatte es bislang bisweilen bereits gezuckt. Ich befand mich folglich in guter Gesellschaft – und doch war ich allein mit meinen bis zum Zerreißen gespannten Nerven. Denn die Dosis macht das Gift – auch mit Blick auf zuckende Augenlider.

Der Zuckturnus der anderen: alle paar Monate circa fünf Minuten lang. Meiner: ein paar Monate circa viertelstündlich fünf Minuten lang.

Voll auf Magnesium

Potentielle Diagnosen von Professor Dr. Google: Magnesiummangel, Hirntumor, Stress. Am häufigsten wurde Stress als mögliche Ursache angeführt. Und der ließ sich auch nicht von der Hand weisen. Enge Deadlines und zahlreiche Baustellen auf der Arbeit, Fernbeziehung und ein Möglichkeitsraum voller Kann- und Soll-Aktivitäten, die sich nicht ansatzweise in das mit zunehmendem Alter kleiner werdende Freizeitfenster pressen lassen wollten. Und trotzdem – die Hoffnung stirbt zuletzt – habe ich mich zunächst auf einen Magnesiumcocktail gestürzt. Brausetabletten aus der Drogerie für zwischendurch; früh, mittags und abends eine kleine Dosis Magnesium Phosphoricum, das mir mein Hausarzt empfohlen hatte. Ich war voll auf Magnesium – und mein Augenlid war voll am Zucken. Nach wie vor.

Einfach mal tranquillo

Nachdem auch mein Augenarzt bestätigt hatte, was ich längst wusste, nämlich dass dieses #!§@?&$!-Zucken aller Wahrscheinlichkeit nach auf Stress zurückzuführen war, beschloss ich, diesem so weit verbreiteten Zivilisationsleiden zu Leibe zu rücken. Ich kündigte, beendete meine Beziehung und nistete mich in einer etwa 15m²-großen Höhle in einem tibetischen Felsmassiv ein. Na ja, fast.

Ich versuchte einfach mal tranquillo zu machen. Wann immer möglich, ging ich pünktlich in den Feierabend, statt drei Wochenenden in Folge zu meinem Freund zu fahren, blieb ich eins davon zuhause, immer mehr Abende verbrachte ich auf meiner Couch mit einem Buch und ´ner Tasse Tee statt ´ner Flasche Wein. Und siehe da: Eines Morgens wachte ich auf und nichts zuckte. Auch dann nicht, wenn Situationen mit erhöhtem Zuckpotential eintraten: Ich bekam ein neues dringendes Do für meine To-do-Liste – kein Zucken. Ich wurde am Büroschreibtisch beim Texten unterbrochen – nichts. Mein Freund musste am Wochenende nun doch arbeiten und konnte nicht kommen – Grund genug für ein veritables Augenzucken, aber: Mein Lid blieb ruhig.

Schreiben als Stresstherapie

Nun könnte die Geschichte an dieser Stelle ihr glückliches Ende finden – wäre da nicht das dumpfe Gefühl, nur einen Etappensieg errungen zu haben. Denn eines weiß ich: 2015 wird es mächtig auf dem Kerbholz haben. Auf der Arbeit warten neue Projekte, neue Kollegen, neue Präsentationen, neue Herausforderungen – eher mehr als weniger. Meine Beziehung wird noch mindestens 1,5 Jahre mit der Distanz und der damit verbundenen Sehnsucht, Fahrerei und Organisiererei leben müssen. Und wann ich die ganzen Zeitungen lesen, die ganze Behördenpost öffnen, die ganzen Filme sehen, die ganzen Theater besuchen, die ganzen gesunden Gerichte kochen, die ganzen ungesunden abtrainieren, die ganzen Weinabende mit Freunden begehen und die ganzen Reisevorhaben in die Tat umsetzen soll, weiß ich beim allerbesten Willen nicht. So lächerlich positiv diese Aufzählung klingt, ist sie doch für viele von uns – wenn man all das auf das Alltägliche und Essenzielle obendrauf packt –, eine wohlbekannte Liste, die das Zeitalter der 1001 Möglichkeiten schreibt und die „abzuarbeiten“ so verführerisch wie verhängnisvoll stressig sein kann.

Wie gut mir das alles gelingt und was dabei auf der Strecke bleibt, wie hoch dabei mein Stresspegel sein wird und vor allem, was mir dabei hilft, diesen runterzufahren, erfahrt Ihr, wenn Ihr mögt, in meiner neuen Kolumne „Nur kein’ Stress“. Und auch wenn ich noch nicht weiß, wann ich die ganzen Kolumnen schreiben soll, geschrieben werden sie – denn die Auseinandersetzung mit einer Sache ist noch immer einer der besten Wege, um ihr beizukommen.