Als ich das erste Mal das Facebookprofil von Lena Chen gesehen hatte, war ich sehr verwundert. Sie sah einer guten Freundin von mir sehr, sehr ähnlich. Ganz anders als Lena gibt sich Elle in sozialen Medien kreativ, künstlerisch, vor Freigeist sprühend. Lenas Profil sah dagegen nachdenklicher und stiller aus. Doch ein kurzer Vergleich reichte aus um zu realisieren, dass es sich um die gleiche Person handelte. Wieso ist Elle Lena und wieso nennt sich Lena Elle?


Elle lernte ich während eines Künstlertreffens für Frauen in Berlin kennen. Aus einem Meeting wurden mehrere und schließlich trafen wir uns im befreundeten Kreis einmal pro Woche. Elle war in dieser Gruppe etwas, was man eine „Anführerin“ nennen könnte: Sie organisierte die Treffen, gab uns Aufgaben mit auf den Weg und immer waren die Treffen mit einer spirituellen Atmosphäre erfüllt. Elle strahlte dabei immer eine innere Ruhe und Kraft aus, die ich selber bei mir des Öfteren suche. Erst nach und nach erzählte sie unserer Gruppe, wie sie zu der Frau geworden ist, die heute eine einzigartige Präsenz verfügt.

Lena/Elle heute

Es begann an Weihnachten 2007. Elle, damals die junge und talentierte Soziologie-Studentin Lena Chen, entdeckte durch Zufall Nacktfotos von sich, die von ihrem damaligen Ex-Freund ins Internet gestellt wurden. Nicht nur ein Foto kursierte durch die uni-internen Netzwerke: Eine ganze Fotogalerie, die Ausstellungen füllen könnte, war für jeden Studenten der renommierten Harvard-Universität frei verfügbar. Damals als bloß skandalös betitelt, hat das Grauen in Zeiten von Facebook und Co einen Namen: Revenge Porn.


Lena war auf dem Campus schon damals nicht unbekannt: Auf ihrem Blog „Sex and the Ivy“ schrieb sie quasi als akademische Version der Carrie Bradshaw über den Uni-Alltag einer Studentin. Durch die Veröffentlichung ihrer Nacktbilder wurde ihr Sex-Blog plötzlich in einem anderen Licht gesehen: Kurzerhand wurde die Soziologie-Studentin als „Hure“, „unattraktiv“ und „nicht fickbar“ bezeichnet.

Haterkommentare über Lena im Internet

Doch dies war erst die Spitze des Eisberges: Ein anonymer Stalker nutzte die Gunst der Stunde, um Lena vollkommen fertig zu machen: Durch sogenanntes „Google Bombing“, also der Manipulation von Google Suchergebnissen, veränderte er die Informationen zu Lena im Netz. Was Trump heute „Alternative Fakten“ nennt, war schon vor 10 Jahren Lenas grausamer Alltag. Denn nicht nur sie wurde im Netz fertiggemacht, der Stalker nahm sich nach und nach Freunde und Familie vor.


Nach mehrere Panikattacken, Depression und anderen krankhaften Symptomen entschied sich Lena, ihre Heimatland USA zu verlassen und zog 2014 nach Berlin. Hier begann sie ein neues Leben – als Elle Peril, der Künstlerin und Autorin, so wie ich sie kennengelernt habe. Während ihrer Zeit in Berlin hat sie die tragischen Ereignisse ihrer Vergangenheit verarbeitet. Sie schreibt an ihrem Buch und richtet zurzeit eine Ausstellung zu ihrer Lebensgeschichte aus.

Lenas Dokumente, Teil der Ausstellung „The Life And Death Of Elle Peril“

In der Ausstellung, die bis zum 28. Mai in der S0Ma Galerie in Berlin zu sehen ist, stellt sie unter anderem die Nacktfotos aus, die ihr Leben maßgeblich verändert haben. Diesmal freiwillig, diesmal mit einer Botschaft: Ich habe nichts zu verlieren. Und wenn der Stalker über ihre Ausstellung herausfindet? Und womöglich sie und ihre Freunde, einschließlich mich, psychisch bedrohen und fertigmachen wird? „Ich mache mir da ehrlich gesagt keine Sorgen. Halb Berlin geht eh in den Kit Kat Club, hier lässt man sich von sowas nicht einschüchtern.“

Gut, dass unser Büro direkt neben dem Kit Kat Club ist.

Elle bei ihrer Ausstellungseröffnung

Die Show „The Life & Death Of Elle Peril“ ist in Kooperation mit der Senatsverwaltung für Kultur und Europa in Berlin entstanden. Sie ist Teil der Ausstellungsreihe „Yellow Matters“, welche asiatische Künstlerinnen fördert. Hier geht’s zum Facebook Event. Auf Elles/Lenas Homepage erfahrt ihr mehr über die talentierte Künstlerin.

Photo Credits: Red Your Blues / Sophie Le Roux