PROLOG

Der Tag beginnt noch vor Sonnenaufgang. Vor dem Hotel hat ein schwerer schwarzer Geländewagen gehalten, unser Gepäck wird in schwarze Plastiksäcke verpackt und auf dem Dachträger festgezurrt. Drei Stunden Fahrt liegen vor uns, in Richtung Norden, bis an die Küste, wo sich die Provinz Kuna Yala an die karibische See schmiegt.

Die Strecke dorthin führt durch einen Regenwald, der seinem Namen alle Ehre macht und über eine von Soldaten kontrollierten Grenze, denn die Provinz steht unter der semiautonomen Verwaltung des indigenen Kuna-Volkes, das dort seit Jahrhunderten seine Heimat hat. Obwohl die Straße erst vor 10 Jahren fertig gestellt wurde, hat die Witterung an manchen Stellen bereits tiefe Löcher in den Asphalt gefräst, die von kurzen, heftigen Regenstürzen mit braunen Pfützen gefüllt werden. Links und rechts wechselt sich der nebelverhangene, undurchdringlich scheinende Wald mit saftig schimmernden Weideflächen für Ziegen und Esel ab. Kurven und Gefälle sind mörderisch. Ohne Allrad hat man hier keine Chance.

Am Ende der Straße gibt der Wald den Blick auf das Meer frei. Dort liegt Puerto Cartí. Diese überschaubare Ansammlung von Umschlagplätzen, WC-Häuschen und Bootsanlegern ist der Startpunkt zu den San-Blas-Inseln, der Hafen zum Paradies.

ICH MÖCHTE EIN EINSIEDLER SEIN

Bei unserer Ankunft zeigt sich das Paradies aber noch etwas missgünstig. Dichte Wolkenberge peitschen die Wellen an und lassen das Schnellboot, in dem ich nun sitze einen waghalsigen Tanz aufführen. Nach der Fahrt durch den Dschungel kommentiert das der nüchterne Magen höhnisch glucksend. Gilberto, unser Reiseleiter und selbst hier aufgewachsen, winkt ab: Das sei ganz normal, wir sollen nur eine Stunde warten und die Sonne werde uns schon früh genug die Häupter verbrennen. Fröhlichem Inselhopping, wie er es mit uns vorhat, steht also nichts im Wege.

365 Inseln – diese Anzahl hat sich doch jemand ausgedacht! – erstrecken sich wie von unsichtbarer Hand in das uferlose Blau der karibischen See hineingepinselt bis hinunter nach Kolumbien, nur 49 davon sind bewohnt. Angesichts solch beklemmenden Leerstands überlege ich natürlich sofort, eine der Inseln in Besitz zu nehmen, um fortan das Leben eines kokovorischen Einsiedlers zu führen und auf Freitag zu warten. Doch dann fällt mir auf, dass ich das ja schon längst tue.

Manche der palmbestandenen Inseln sind nicht viel größer als der Sandkasten eines durchschnittlichen deutschen Kinderspielplatzes. Wie zum Beweis laufen wir die Isla Pelicano an. Eine einzige windschiefe Hütte aus Treibholz, ein paar im feinen weißen Sand herumliegende Kokosnüsse und höchstens zehn Palmen – das ist alles. Mit 50 Schritten lässt sich das Einland in ganze Länge durchmessen. Doch das Spektakel wartet nicht auf der Insel, sondern in dem türkisblauen Ring, der sie umgibt. Steckt man da nämlich den tauchbebrillten Kopf nur ein kleines bisschen unter die Wasseroberfläche, erstrecken sich so weit der Blick reicht formenreiche Korallenfelder, die ihre leuchtenden Farben großzügig mit uns Schnorchlern und den unverfroren gleichgültig wirkenden Fischen teilen.

Nach dieser visuellen Überwältigungstour und nachdem mir die Sonne das hübsche Rot eines Hummers auf den Rücken gemalt hat, möchte uns Gilberto etwas zeigen. Wenig später stehe ich auf einer winzigen Sandbank mitten im Ozean, der jenseits der Brandung so tief blau ist, als hätte jemand ein großes Tintenfass ausgeleert und an dieser türkis schimmernden Stelle gerade mal bis zu den Knien reicht. Mittlerweile hat die Sonne ihren Zenit erreicht und ich dürste nach einer Erfrischung, die uns auf der nahen Isla Waily, im Schatten einer auf das Wasser hinausragenden Terrasse, gewährt wird. Selbst die Zeit beugt sich nun der flirrenden Mittagshitze, mag nicht mehr verstreichen und löst sich im regelmäßigen Rauschen der träge in den weißen Sand spülenden Wellen auf. Was für ein Glück, wenn man diesen Ort Heimat nennen kann.

Zumindest für eine Nacht können wir so tun als ob. Unser Quartier liegt auf der Isla Aguja und umfasst wenig mehr als ein paar bastverkleidete Cabañas und hölzerne Hütten, die sich unter die dicht beisammen stehenden Palmen ducken. Die Dächer sind mit getrockneten Palmblättern gedeckt, selbstgemalte Schilder warnen vor herabfallenden Kokosnüssen, bei jedem Schritt spürt man den warmen Sand zwischen den Zehen. Der Ozean füllt beim Abendessen die Teller: Es gibt Fisch oder Shrimps, dazu Tortillas und Kochbanane. Als sich der Sonnenuntergang mit den ersten rosa Schlieren am Horizont ankündigt, versammeln wir uns mit einem Glas Rum am Strand, die Eindrücke des Tages und die Leichtigkeit des Moments vermengen sich zu einer fast kindlichen Euphorie. Und als um 11 der Strom abgestellt wird, springe ich im Licht des Vollmonds noch mal ins Meer.

GEBOREN IN DER HÄNGEMATTE: EIN KURZER BESUCH BEI DEN KUNA

Die Kuna werden in der Hängematte geboren, heiraten darin und werden schließlich in ihr begraben. Das kündigt uns Gilberto, unser Guide, mit einem breiten Grinsen im Gesicht an, als wir auf Cartí ankommen, zugleich sein Geburtsort und die am dichtesten besiedelten Insel des Umkreises. Und tatsächlich: Während wir die ausgetreten Lehmpfade entlang spazieren und in das Halbdunkel der hölzernen Hütten blicken, werden wir aus engmaschigen, mit buntem Garn geknüpften Hängematten, die zwischen den Trägerbalken aufgespannt wurden, schüchtern beobachtet. Der Massentourismus hat diesen Teil des Archipels noch nicht erreicht und die Tradition verlangt sowohl die Einladung eines Einheimischen als auch die Zustimmung des Dorfparlaments, bevor man die Inseln als Fremder betreten darf.

Schon im 17. Jahrhundert zogen die ersten Kuna vom Festland auf die Inseln. Nach etlichen Missionierungsversuchen, Territorialkonflikten und einer Revolution dürfen sie ihre uralte Kultur seit Gründung der Republik Panama im Jahr 1930 wieder ohne Einschränkung leben. Neben dem spirituellen, sehr naturverbundenen Glauben ist es vor allem die eigene Sprache, die dem Willen des Volkes zu Autonomie und Selbstverwaltung Ausdruck verleiht.

In der Schule jedoch wird Spanisch unterrichtet und am Fahnenmast im Hof bauscht sich die panamaische Flagge im leichten Wind. Gerade ist Pause und wo vorher noch scheue Zurückhaltung herrschte, werden wir hier geradezu begeistert empfangen. Die Kinder in weiß-blauer Schuluniform oder bunter Tracht drängeln sich um uns, machen überschwänglich Späße und posieren gemeinsam für Fotos. Die Lehrerinnen haben alle Mühe, die aufgedrehte Bande wieder in die Klassenräume zu beordern, um mit dem Unterricht fortfahren zu können. Etwas hinterhalb des u-förmigen Schulgebäudes befindet sich das Gemeindehaus. Alle Entscheidungen, Probleme und Konflikte, welche die Dorfgemeinschaft betreffen, werden hier in täglichen Versammlungen diskutiert – allerdings nur von den Männern des Dorfes, die häufig auch den Lebensunterhalt der Familien als Fischer, Transporteur oder Fremdenführer bestreiten.

Trotzdem sind es die Frauen, die im Zentrum der Kuna-Kultur stehen, denn die meisten Gemeinschaften leben im Matriarchat. Das bedeutet für den frisch vermählten Mann, dass er nach der Heirat in die Familie der Ehefrau einzieht. Auch die Kleidung symbolisiert diese besondere Rolle des Weiblichen. Nur die Frauen und Mädchen tragen die traditionelle, mit aufwendigen bunten Stickereien verzierte Tracht, die aus einem wallenden Rock, einer Bluse sowie Waden- und Unterarmschonern besteht, auch im Alltag. Mola nennt man diese Art des textilen Kunsthandwerks, das längst nicht mehr nur auf die San Blas-Inseln beschränkt ist, sondern auch in den Gassen des Casco Viejo in Panama-Stadt von Angehörigen der Kuna zum Kauf angeboten wird. Wie filigran und aufwendig die Sticktechnik ist, mit der die Stoffe bearbeitet werden, zeigt uns der Besuch bei Gilbertos Mutter, die sich – von Kopf bis Fuß in Tracht gehüllt – Zeit für eine Vorführung nimmt, bis ihr Sohn uns mit einer Geste bedeutet, dass dieses karibische Abenteuer nun zu seinem Ende kommt.

EPILOG

Es fällt sicherlich nicht schwer, sich vorzustellen, dass der Abschied von den San Blas-Inseln etwas aufs Gemüt schlug. Kurz hineingeworfen ins Paradies, um dann jäh wieder herausgerissen zu werden. Trübsal wäre jedoch völlig unangebracht: Honduras wartet schon.

KOOPERATION

Die Reise nach Panama und Honduras fand in Kooperation mit der Central America Tourism Agency statt.

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Wir danken für das wunderbare Programm und die Organisation dieser Reise!