Betäubt und matt, aber auch irgendwie frei und inspiriert, so fühlte ich mich am Montagnachmittag, als ich ins Auto stieg um die Heimreise in den Freistaat anzutreten. „Es war wieder schön“- tönte es schon jetzt wehmütig von der Rückbank, noch bevor wir die Tiefgarage des schicken Hotels in Mitte verlassen hatten. Ein Wochenende in Berlin, zu Ostern, mit guten Freunden – das war der Plan und so war es auch, doch irgendwie schafft es diese Stadt immer wieder meine Erwartungen nicht zu erfüllen, sondern auf schmeichelhafte Weise zu übertreffen.
Wie Ihr vielleicht schon vermuten könnt, es ist nicht mein erstes Mal in Berlin gewesen und FUCK – das schwöre ich Euch – sicher auch nicht das letzte Mal. Als Gewohnheitstier – es liegt vermutlich an meinen bodenständigen, bayrischen Wurzeln – neige ich oft dazu immer wieder die gleichen Orte aufzusuchen, denn was letztes Mal gut war, wird dieses Mal auch wieder gut sein, logisch oder? Somit wurde mir das Schicksal eines Wiederholungstäters quasi in die Wiege gelegt. Einerseits ein Segen, denn ich werde Berlin sicher noch oft wehmütig verlassen, um wie ein Junkie bereits dem nächsten „Trip“ entgegenzufiebern, andererseits ein Fluch, denn ich laufe Gefahr immer dasselbe unternehmen zu wollen. Vielleicht ist es auch Selbstschutz, um die kostbaren Stunden möglichst sinnvoll und schön zu verbringen. Ob Selbstschutz, oder einfach nur Dummheit, Berlin lässt mich nicht dumm sterben, sondern therapiert den bodenständigen Wiederholungstäter in mir und lässt dem Klischee „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“ keine Chance. Die Vielfalt an Möglichkeiten, die unterschiedlichsten Menschen und der knallhart ehrliche Charme der Hauptstadt, zerschmetterten meine konservativen Scheuklappen bereits beim ersten Besuch und zwingen mich immer wieder, diese seltsam schöne Stadt neu zu entdecken.
Raus aus Tiefgarage und in Richtung Autobahn unterwegs, verabschiedete sich Berlin mit herrlichem Sonnenschein, als würde es mit verführerischer Stimme flüstern – „bleib doch, es war so schön mit uns.“ Eine heimtückische Anziehungskraft, die man sonst nur der Liebe, oder harten Drogen nachsagt. Im Auto herrschte währenddessen fast andächtige Stille. Jeder von uns – wir waren zu fünft – ließ sein eigenes Berlinwochenende Revue passieren. Dass wir alle Spaß hatten – jeder auf seine Weise – konnte man nur anhand unserer schmunzelnden Gesichter, während der Schweigeminuten in Richtung Sonnenuntergang erahnen. Vermutlich ist es genau diese Magie, mit der Berlin viele so leicht in seinen Bann zieht. Egal wer Du bist, was Du machst, oder worauf Du stehst, in Berlin scheint jedes noch so bunte Schäfchen seine Herde, oder auch seinen Hirten zu finden. Individuen, soweit das Auge reicht, meist zufrieden und gut gelaunt, obgleich die Laune nun der Stadt, oder diverser Pillen gut zu schreiben ist – wen interessiert’s? – Genau, eben Niemanden. Eine Wohltat für manch unfreiwilligen, bunten Hund vom Land. Keiner interessiert sich und keiner gafft – Falls doch ist es sicher nur ein weiterer, geblendeter Besucher, den Berlin gerade mit dem Charme seiner Gleichgültigkeit und Akzeptanz anfixt.
„Alles so friedlich hier“ – Mit diesem Satz wurde ich bei der Ankunft in Bayern aus meinem Brainstorming gerissen, welches die Stunden im Auto kürzer als die Aufzugfahrt in den 6. Stock des Hotels machten. Tatsächlich – die Sonne war zwar mittlerweile untergegangen und man bedenke es war schließlich Ostermontag, trotzdem war es ungewohnt ruhig hier – Bayern halt. Ist alles nur schöner Schein, sind wir wirklich so viel braver als Berlin, oder passieren hier die Dinge einfach unter vorgehaltener Hand?
Der Morgen danach im Büro – Rechner einschalten, Mails checken, Kaffee holen – alles wie immer und doch nicht. Als hätte ich beim Abschied etwas zu lange in Berlins Sonne gestarrt und als würde mir die Stadt immer noch süß ins Ohr flüstern, stelle ich plötzlich alles in Frage. Gedankenketten wie – Auto verkaufen, Job kündigen, eine coole WG suchen und einfach machen was mir Spaß macht – rasseln durch meinen Kopf wie ein Film, als hätte ich einen Schluck Freiheit zu viel genommen. Das sind dann wohl die ersten Entzugserscheinungen, die mir Berlin diesmal mit auf den Weg gegeben hat. Grundsätzlich ist es ja gut sich über sein Leben Gedanken zu machen, doch nach einem Trip wie dem vergangenen, erscheint der Sprung aus dem sicheren Nest fast wie eine Notwendigkeit. Ganz nach dem Motto: „Entweder ich fliege, oder ich breche mir das Genick.“. Verrückte Gedanken, dabei war ich doch erst verrückt – für meine Verhältnisse versteht sich – und darauf bin auch sehr stolz. Ich habe den Schritt gewagt und bin von der bayrischen Kleinstadt ins große München gezogen, auch wenn nach dem reizüberfluteten Wochenende in Berlin selbst die bayrische Hauptstadt wie ein Dorf wirkt. Ein Gedanke bleibt – ist München möglicherweise nur ein Schritt auf meinem Weg in die lauteste, dreckigste, aber ehrlichste Stadt Deutschlands? Vielleicht wage ich nach dem nächsten Abschied den Sprung und zwischen Berlin und mir entwickelt sich mehr als nur ein Gelegenheitsflirt.