„Ich muss hier weg!“ meinte Tandiss, zog mich zur Seite und sprach eigentlich nur noch aus, was auch mein Gedanke war. Fakt ist, ich bin für die letzten zwei Tage unendlich dankbar. Es war wichtig nach Jerusalem zu reisen, sich dieser faszinierenden Stadt und deren Regeln zu stellen. Was wir nicht wussten war, was die Stadt in uns auslöst, dass unser Nervenkostüm schwächer ist als gedacht und dass auch ich ab einem bestimmten Punkt zugeben muss: Bis hier hin und nicht weiter.
Vielleicht könnte ich es dabei schon belassen: Sagen, dass wir einfach zu emotional und gestresst waren, um die Erfahrungen der letzten 48 Stunden als wertvolle Erinnerungen mit nach Hause zu nehmen. Doch so sind wir nicht, weder Tandiss, noch meine Person. Drum starte ich, zuweilen einen nur kleinen Versuch, euch zu schildern, was mich in Jerusalem so berührt hat.
So fing es an: Vor knapp 2 Tagen bestiegen wir in Tel Aviv das Auto, reisten der glühenden Hitze entgegen und bezogen bei 43° im Schatten unsere Villa Pension in Jerusalem. Der Zufall und das Schicksal wollten es so, dass mein erster Aufschlag am wohl heiligsten Ort der Erde, zeitgleich mit einem der wohl wichtigsten Nationalfeiertage, dem Tisha B’Av, einem Gedenk-, Fast- und Trauertag für die Zerstörung des heiligen Tempels, stattfand. Soll heissen, es war de facto kein durchschnittlicher Tag in Jerusalem. Überhaupt ist „durchschnittlich“ der wohl denkbar unpassendste Begriff im täglichen Schmelztiegel der Religionen. Diese Stadt wurde nicht erschaffen um verglichen zu werden. Ohnehin geht die Wahrnehmung von Außen und die Realität vor Ort weit auseinander: Während in der restlichen Welt, die Medien wieder den Aufschrei (siehe Spiegel, Stern, FAZ, …) von gestern kommentieren, stößt man hierzulande nur auf simples Achselzucken. „Verschanzung im Tempel? Ja, hab ich gehört. Kommt öfter vor!“
Drum komme ich zum Punkt: Das entspannte Jerusalem, das wir eigentlich unbeobachtet erkunden wollten, fanden wir nicht. Nicht der unzähligen Gebräuche und Regeln wegen: Vielmehr wegen den mahnenden Blicken. Und keine Sorge lieben Leser, ich habe in den letzten 4 Jahren nahezu 70 Länder bereist, mir war absolut klar, was bevor steht. Gern kleide ich mich anders, fotografiere und telefoniere nicht, agiere in meiner Rolle als Mann (was auch immer das bedeutet), passiere bestimmte Straßen nicht – kurzum: Ich tue einfach wahnsinnige viele Dinge nicht, die ich sonst eben tue. Menschen sprechen an dieser Stelle zu gerne von kulturellen Gepflogenheiten. Doch reicht dieses – mit Verlaub – lapidare Wort bei Weitem nicht aus! Nicht in Jerusalem. Drei Weltreligionen definieren sich hier, fallen sich gegenseitig ins Wort und suchen bei Besuchern vor allem eins: Commitment. Du gehörst zu dieser Gruppe, also darfst du das, das und das, falls nicht, dann bitte hier entlang. Die typische Denke, nur als Beobachter die Stadt zu erkunden, ist nicht wirklich möglich. Was also, wenn keine Schublade passt?
Ferner glich unser Rundgang einem Spießrutenlauf par excellence. Zur Erklärung: Um dem Radar religiöser Regeln zu entsprechen, kaufte ich im Vorfeld ein Galabiyya, ein langes Beduinenhemd, zum Schutz vor der Sonne und zur Bedeckung von Armen und Beinen. Was mir nicht klar war: Das Hemd identifizierte mich sofort als Araber. Ungeachtet tönten sogar die Kids bereits aus weiter Entfernung, dass der Weg zur Klagemauer nur der jüdischen Community vorbestimmt sei, ich käme hier nicht durch, ich solle gehen. Araber wiederrum stürzen direkt auf mich zu, nicht weil sie etwas verkaufen wollen, sondern weil sie mein vermeidlich kulturelles Bekenntnis huldigen wollten. Leider taten sie dies in einer derart unangenehmen Art, wie ich es lange nicht erlebt habe. Und Tandiss? Ja Tandiss hingegen wurde zum Teil komplett ignoriert, die Iranerin im westlichen Outfit scheint der Nachfrage gar nicht wert zu sein.
Wie absurd! Wo sind wir hier gelandet? Ich bin weder das eine noch das andere! Mein Problem, unser Problem war und ist niemals die Auseinandersetzung als Nichtgläubiger im religiösen Regel-ABC. Nein, gewiss nicht, das liegt mir fern! Jeder Glaube hat seine Berechtigung. Nur kam ich die letzten Tage nicht umhin mich zu fragen: Gehören diese unqualifizierten Stigmata ernsthaft zur Diskussion ums große Ganze? Ich kann nur hoffen, dass dem nicht so ist.
Als rhetorische Klammer will ich festhalten, dass ich diese Zeilen weder frustriert, noch wütend schreibe. Die zwei Tage in Jerusalem zählen zu den wohl wichtigsten in meinem nunmehr 34-jährigen Dasein. Ich sage ja gerne, Religion ist der beste Architekt! Drum lege ich jedem von euch wärmstens ans Herz, diesen einzigartigen Ort aufzusuchen, einmal den Ölberg zu besteigen, tief inne zu halten und die unerschöpfliche Kraft dieser Stadt zu spüren.
Und die Moral aus der Geschicht? Egal, wo du bist auf Erden, welcher Gemeinschaft du angehörst oder nicht – der Mensch sieht was er sehen will. Nur spricht selbst der wohl heiligste Ort auf Erden, die Gesellschaft, nicht frei von Oberflächlichkeit. Schade nur, dass wir uns gerade in diesem Punkt, scheinbar alle einig sind.