Gewohnt 7:30 Uhr wache ich auf. Von allein. Einen Wecker brauche ich nicht mehr, ich kann damit ungewollt planen. Egal ob ich vor oder nach zwei einschlafe, spätestens zwischen 7:00 und 8:00 Uhr dreht mein Körper pünktlich frei. Meist krieche ich raus, trinke wie von Sinnen Wasser, steh wie ’ne Leiche im Bad und scrolle während dem Pinkeln die Sinnlosigkeiten an Nachrichten runter, die ich bereits vor fünf Stunden gecheckt habe. Je nach Schwäche, schaffe ich es vielleicht noch mal einzuschlafen. Allerdings nur, wenn der Raum noch frei von Geistern ist, die ich zwar nie gerufen hab, aber irgendwo zwischen Mailbox, iCal, Instagram oder Grindr pausenlos hier rumhängen. Doch so oder so, ein schöner Anblick ist das nicht. Hat was von Walking Dead, nur kaputter – und eben keine Show.

Drum kommen wir zum Punkt: „Röhlig, get your shit together!“ ist die Headline jeden Morgen und genau darüber könnte ich nur kotzen. Es ist schwer Leute, wenn man einfach zu viel will. I’m obsessed. Besessen vom fucking Leben und allem, was ich rausholen kann. Blicke ich heute auf die letzten 10 Jahre zurück, könnte ich feiern bis der Arzt kommt und zeitgleich Alarm schlagen, was alles noch fällig ist. Es ist nicht zu fassen: Die Liste an Träumen wird nicht kürzer und das Monster namens Zeit, reisst alles mit. Hoffnungen werden zerstört, Erwartungen nicht erfüllt, Menschen uns genommen. Als Gegenleistung werden Hoffnungen erfüllt, Erwartungen bestätigt und Menschen uns gegeben. Merkt ihr was? Ja klar, so läuft das. Man kriegt immer etwas, soviel steht fest. Den Sinn im Unsinn erkennen, braucht aber ein Stück. Und Stück heißt Zeit. Und Zeit haben wir nicht. So ein Fick. So what‘s the status? Ganz einfach: Es gibt keinen. Es gab nie einen. Es wird keinen geben. Leben bleibt, was passiert, sonst nichts.

Nur eins, das will nicht ruhen, um vollkommen ehrlich zu sein: Es wird immer mehr. Das Gerangel ums Glück. Im April werde ich 39. Das ist definitiv nicht mehr 20. Die Frage nach Faktor Zufriedenheit will ich eigentlich mit Ja beantworten und tu mich doch schwer damit, allein deswegen, weil ich nicht verstehe, warum ich das überhaupt wissen will. Ist nicht der eigentliche Sinn, dass alles ist wie es ist und gerade diese eine Frage zur Ausnahme mal nicht ich, sondern das Leben selbst beantwortet?

Meine Wohnung habe ich derweilen verlassen, sitze nun im Flieger nach Israel und hatte mir eigentlich vorgenommen, bis Ben Gurion Airport, euch wenigstens einen Entwurf als Antwort zu liefern. Doch es gelingt mir nicht. Das Einzige was bleibt, ist die Tatsache, dass ich sehr lange schon den Wolken nachsinne und zugeben muss, dass mich diese Frage sogar sehr traurig macht. Liebe Leser, ich kann reinsten Herzens sagen, dass ich kein gebrochener Mann bin – gewiss nicht. Ich bin von viel Liebe und Liebenden umgeben und wurde vom Leben reich beschenkt: Egal ob privat oder beruflich, die Balance aus Niederlagen und Erfolgen haben mich nicht nur stärker, sondern auch selbstbewusster gemacht. Ich stelle mein Dasein nicht mehr in Frage und bin mehr als dankbar, dass der unsichere Krümel von damals endlich Form angenommen hat.

Ansonsten gilt: It’s all relative. Angekommen in der Lebensmitte scheint es obendrein unrealistisch, darauf zu hoffen, dass der Schalter, von dem ich immer hoffte, er würde im Zuge des Erwachsenwerdens von allein fallen, endlich kippt und klar den Weg weist. Sich und andere erkennen, damit fine zu sein, wer man ist, hier und jetzt die Zweifel hinter sich lassen, scheint nicht nur für mich sondern auch stellvertretend für meine Generation der Issue einer ganzen Nation zu sein. Gesundes Selbstvertrauen, Vertrauen in andere, meine Arbeit und meine Ziele – eigentlich einleuchtend einfach. Warum dann die weichen Knie? Nun, mein Mann und meine Mutter wollen seit Jahren, dass ich mal „ … ’nen Gang runterschalte!“ Mich besinne, auf meine Gesundheit achte und danach handle. Doch vor allem, dass ich mehr schätze, was ist. The current status. The power of now. Kurz: Feier was du hast. Nein, feier was du bist!

Liebe Leser, ich will gewiss nicht der Nächste sein, der endlos die Welt mit Selbstliebe penetriert, doch stimmt es. Es fängt bei uns an und hört bei uns auf. Das verstehe ich. Nur das mit der Zeit, das schlägt mir noch quer. Ganz einfach, weil die einzige Wahl die bleibt, ist, dass wir keine Wahl haben.

Drum schieben wir uns durch die Jahre. Voller Tatendrang und Muse rennen wir raus in die Welt. Bewegen wollen wir! Erleben wollen wir! Und ganz viel haben. Vor allem Sinn! Es muss einfach Sinn machen hier zu sein. Dem Dasein einen Namen geben und dem Sandkorn an Zeit, dass uns geschenkt wurde, mit geschwellter Brust den Kampf ansagen. Alles und jeder hat Bedeutung! Selbst der Tod. Doch darüber reden wir nicht. Weil wir das nie tun. Nicht mehr zu sein, nein, das geht nicht. In den letzten drei Jahren habe ich beide Opas und eine Oma verloren. Meine Großmutter hat die Welt kurz nach dem Tod ihres Mannes verlassen, fast als hätten die beiden sich besprochen. „Always. Better. Together!“ – oder so. Doch bei der Grabrede meines zweiten Großvaters, fiel ein Satz, der mich seither nicht loslässt: „20 Jahre klingt sehr lang, aber was wenn dir wer sagt, du hast nur noch 20 Sommer?“

Daher noch mal: It’s all relative. Auch das Leben selbst. Angefangen bei den Eltern, meine sind 64 und 69 Jahre alt, kann ich quasi zählen, wie viele Momente noch bleiben. Ich sehe sie zwei, vielleicht dreimal pro Jahr. Doch was heißt das? Jetzt konkret? Noch 60, vielleicht 100 kleine Zeitfester mit Mama? Ernsthaft? Will mich die Welt verarschen oder sollte ich direkt alles hinschmeißen und heulend gen Boden sinken? Im April wurde ich 38. Das sind 38 Sommer. Sieht so die Mitte aus? Oder liege ich schon drüber? Fakt ist, selbst das Alter, in dem ich zu jung bin um alt zu sein und zu alt um jung zu sein, ist definitiv vergangen. Nur eins scheint klar: Die Zeit, sie vergeht. Rasend schnell. Noch vor ein paar Jahren wollte ich davon nix wissen. Ich fand die Alten immer lächerlich mit dem Gebrabbel ums Alter. Jetzt hänge ich selbst drin. So what?

Keine Antwort aber mein Hirn wabbert weiter. Noch hab ich die Hoffnung, dass im nächsten Absatz hier so richtig die Funken schlagen, da ein Kapitel noch offen ist. Drum schnallt euch an, denn jetzt geht’s um die Wurst und wir reden mal, wovon sonst kaum noch einer spricht, die Karriere. Aufregend. Allein das Wort ist ja schon mal scheiße: Karriere. Sagt auch keiner mehr. „Ist doch so viel mehr geworden!“ – Was ist es also? Viel Geld? Ich glaube nicht! Viel gesehen? I don‘t think so. Die heilige Freizeit mit der perfekten Aufgabe besetzten? Selbstverwirklichung? Joa, vielleicht. Und joa sag ich auch nur, weil das Streben nach Verwirklichung ohnehin dem Todschlag gleicht.

Ernsthaft, wer will sich nicht erleben in all seiner Form? Und hat der Mensch darauf überhaupt Einfluss? Egal ob ich den Dreck anderer scheuere oder millionenschwere Entscheidungen treffe – die Aufgaben stehen oder so. Selbst nichts tun ist ein tun und somit ein wichtiges To Do. Überhaupt: Ist Selbstverwirklichung denn ein Ziel? Und wenn schon Ziel: Was kommt danach? Wann kann man sagen, gut jetzt? Im Zuge aus damals und heute komme ich daher nicht umhin mich zu fragen, ob der Mensch dieses Schlupfloch tatsächlich braucht? Es hat schließlich einen Grund, warum sich der Hamster ohne Hirn und Verstand die Seele aus dem Leib rennt. Es getraut sich nur keiner, die Wahrheit zu sehen: Der Kleine rennt nicht dem Ziel entgegen, er rennt um sein Leben. Konkret scheint an dieser Stelle daher nur eins: Wir rennen entweder der Vergangenheit davon oder der Zukunft entgegen. Welche Macht hier die stärkere ist, liegt bei uns.

Ortswechsel: Ich hab’s leider nicht geschafft. Unlängst sitze ich nicht mehr im Flieger sondern in meiner Küche in Tel Aviv. Nichts hat sich verändert. Außer das Wetter. Wir schreiben den 3. Oktober 2019: Es ist der Tag der deutschen Wiedervereinigung und draußen sind es 29 Grad. Zwischen meinem Gebrabbel im Flieger und heute liegen knapp zwei Wochen, doch zwei Fragen sind noch offen. Die Frage um die eigentliche Frage: Ergibt sich – wenigstens hier und jetzt – ein roter Faden im Labyrinth aus Zeit und Zufriedenheit? Und falls ja, habe ich sie beantwortet? Die Antwort: Nein. Ich habe den Beitrag nun zweimal gelesen und kann weiß Gott nichts finden. Also nein.

Nur eins scheint klar und diese Klammer gefällt mir: Nicht alles braucht eine Antwort Freunde. Es ist mehr als eindeutig, dass deine, meine und unsere Fragen, häufig die einzigen sind, die uns bleiben. Sie halten uns zusammen, wie ein gigantischer Motor. Doch viel wichtiger: Sie erinnern an das Leben, was uns umgibt und das, was uns wichtig scheint.

Da schau! Vielleicht doch eine Antwort.

 

#zeitGEISTer

Normans Kolumne über die Zeit die uns bleibt und die Geister, die keiner gerufen hat.