In einer Welt, in der das Mehr so eine große Bedeutung hat, wie in der unsrigen, wird es scheinbar zunehmend schwerer, das Sein an sich zu genießen, das Leben an sich überhaupt wahrzunehmen und anzuerkennen. Es gibt immer etwas zu tun, damit etwas mehr und/oder besser wird. Ich selbst tappe immer noch immer mal wieder in diese Falle, obwohl ich es besser wissen müsste. Doch vielleicht ist diese Falle auch keine Falle wie eine böse Grube mit einem externen Dämon mittendrin, sondern gehört einfach zu einem menschlichen Leben komplett mit dazu?

Ein ganz normaler menschlicher Drang, ein menschliches Bedürfnis, eine menschliche Begierde? Die Frage bleibt dennoch die gleiche: Wie viel Tun ist notwendig und OK und wann nehme ich mir Zeit kontemplativ und dankbar sein zu können? Wann kann Dankbarkeit entstehen und sich zeigen? Wann kann ich sie erfahren und fühlen? Was ist dafür alles notwendig?

Da fällt mir zum Beispiel das hier ein: Einfach dasitzen und fünf Minuten aus dem Fenster schauen. Ehrlich jetzt? Ehrlich jetzt! Bei genau diesen einfachen Dingen werden viele Menschen nervös und die Gedanken rasen, was wollte ich noch als nächstes von meiner To-Do-Liste tun, was koche ich heute Abend doch wir können diese Gedanken ziehen lassen wie Wolken am Himmel und eben genau diesen Moment, in dem ich einfach so dasitze und mir das Treiben auf der Straße anschaue, die Blätter von den Bäumen fallen und die Vögel auf eben diesen landen sehe, als das anerkennen, was er ist: nämlich einzigartig.

Nicht nur, dass wir immer wieder vergessen, dass dieser Moment einzigartig ist, nein, wir vergessen auch, für was wir alles alleine in diesen fünf Minuten dankbar sein können, wenn wir uns das mal wirklich bewusstmachen möchten. Ich habe ein Dach über dem Kopf, einen festen Boden unter den Füßen, meine eigenen vier Wände und genügend Kleidung sowie eine Heizung, dass ich nicht frieren muss.

Ich trinke warmen Tee, ich habe eben gegessen, ich durfte eben zur Uni gehen und jetzt darf ich mir Gedanken zum Thema „Dankbarkeit“ machen anstatt Gedanken dazu, wie ich den nächsten Tag überlebe oder wie ich meine Familie über die Runden bringe. Sollte das nicht schon ausreichen in purer Dankbarkeitsfreude durch die Gegend zu hüpfen?

Nein, ich möchte jetzt nicht dazu aufrufen, sich nur mit dem absolut Minimalen zufrieden geben zu müssen. Das liegt bei Jedem selbst, wie er leben möchte und wie viel von was es dazu braucht. Und ich möchte auch nicht sagen, dass wir uns mit ärmeren Menschen in welcher Hinsicht auch immer vergleichen sollen, damit wir uns reicher vorkommen. Ganz und gar nicht, denn Vergleiche, egal in welche Richtung, ob „rauf“ oder „runter“, bringen nicht viel bis gar nichts.

Ich möchte an dieser Stelle auf eine Relation hinweisen, eine Relation herstellen. Denn wie oft erleben wir in unserem westlichen Leben, dass wir uns schlecht oder klein fühlen, weil wir dies oder jenes nicht haben, noch nicht geschafft haben oder dies oder jenes nicht sind? Wie oft findet sich in unserem Sprachgebrauch, dass schon alles gut werden wird? Gut werden wird, wenn dies oder jenes eingetroffen ist? Wie wäre es hingegen, wenn schon alles gut IST?

Wenn ich dankbar anerkennen würde, wo ich stehe, wie ich dahin gekommen bin und was ich schon alles erreicht habe? Wie wäre es, wenn ich jeden Tag einmal fünf Minuten aus dem Fenster gucken würde und mir in dieser Zeit bewusstmachen würde, für was ich alles dankbar sein kann? Wie wäre es, wenn ich mir jeden Tag für eine gute Sache selbst auf die Schulter klopfen würde? Wie würde es sich anfühlen, wenn ich jeden Tag stolz auf mich sein könnte? Anstatt zu fokussieren, was ich heute alles nicht geschafft habe, welche To-Dos heute schon wieder liegen geblieben sind und welche Nachricht ich auch heute nicht beantwortet habe?

Und ja, gerade in den dunkleren Stunden und wenn wir eh schon in Zweifelshausen und im Sorgental unterwegs sind da fällt das in der Tat besonders schwer und auch ich ziehe manchmal im wortwörtlichen Sinne die Decke über den Kopf und vergabe mich. Doch ist nicht auch das Vergraben mal OK? Wie wäre es, wenn ich dennoch jeden Tag dankbar wäre, dass ich überhaupt wieder aufgewacht bin?

Ich habe gerade heute eine tolle Erinnerung gelesen:

„You´re not going to master the rest of your life in one day. Just relax.
Master the day. Then just keep going that every day.“
(PeacefulMindPeacefulLife.org)

 Wie wäre es, wenn wir jeden Tag dankbar anerkennen könnten, dass wir eben jeden Tag unseres Lebens meistern? Unsere Freude meistern und ebenso unsere Traurigkeit. Ist das nicht genug, ist das nicht vielleicht der Sinn des Ganzen, anzuerkennen, dass ich der Meister meines Tages, der Meister jedes einzelnen Tages bin und damit zum Meister meines ganzen Lebens werde? Ich persönlich habe mit meinem besten Freund eingeführt, dass wir uns selbst regelmäßig gemeinsam feiern.

Gemeinsam reflektieren und gemeinsam auf uns schauen. Feiern, was wir alles schaffen, erschaffen. Feiern, dass wir stets versuchen gute, hilfsbereite, mitfühlende Menschen zu sein. Uns feiern, damit wir uns und unser Sein eben nicht vergessen. Uns feiern, damit wir uns regelmäßig bewusstmachen, wie wir jeden Tag aufstehen und erneut versuchen das Beste zu tun, was wir eben täglich können.

Uns feiern, damit wir auch die kleinen Schritte zum „Erfolg“ sehen, würdigen und wertschätzen – das gilt besonders für mich… Uns feiern, damit wir ganz bewusst Danke sagen! Danke ans Universum, Danke an unsere Lieben und Danke an uns selbst! Es wird auch noch mal Zeit für die Duo-Feierei, fällt mir da gerade auf, liebster Gilli!

In letzter Zeit begegnen mir recht oft Eichhörnchen und jedes Mal denke ich mir: „Ja, mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, Schritt für Schritt geht es voran.“ Ist das nicht das „wahre Geheimnis“ des Lebens? Der Freude, der Dankbarkeit, des Friedens? Dass es eben Schritt für Schritt vorangeht und ja, dass es auch mal mühsam ist, wir Durststrecken durchleben müssen und dass wir auch für vermeintlich negative Erfahrungen dankbar sein können, denn in der Regel machen uns diese wacher, bewusster, wir sehen genauer hin und dadurch wiederum bringen sie uns voran.

Voran zu anderen Erfahrungen und Wegen und Weggefährten und Gefilden. Und zu noch so vielem mehr, ein Mehr, welches wir uns jetzt vielleicht noch nicht vorstellen können, aber dessen Gefühl, welches wir eben vielleicht schon leise erspüren dürfen, uns tragen wird zu einem tiefen Mehr. Zu einem Mehr, das kein egoistisch-geprägtes Mehr ist, sondern ein mitfühlendes, gewaltfreies, kooperativ kommunizierendes, gemeinsames Mehr.

In diesem Sinne lasst uns uns für unser Dranbleiben in 2016 selbst in Dankbarkeit feiern. Denn ja, 2016 war ein seltsames Jahr und ja, ich könnte jetzt all das Negative aufzählen, was passiert ist, doch wir wissen ja, was abgeht und was extrem schiefläuft. Ich möchte das alles auch nicht kleinreden oder wegdrücken. Überhaupt gar nicht. Ich frage (mich) vielmehr, wie kann ich als kleine, eine Person in dieser einen, großen, komplexen Welt damit umgehen, so dass es meinen eigenen Frieden nicht (ständig, so hart) gefährdet? Auf dass wir in 2017 der Antwort auf diese Frage näherkommen können und werden.