2017 war ein Jahr voller spannender Ereignisse und neuen Herausforderungen, doch eins meiner Highlights war die Iran-Reise mit meiner Mutter im letzten Oktober. Selten hat mir die Kultur eines Landes so imponiert wie dort, angefangen von der reichen Geschichte zu orientalischen Speisen und wunderschöner Architektur. Umso freudiger war ich deswegen, als in meinem Facebook Feed viele meiner Freunde Interesse an einer Veranstaltung hatten, die persische und arabische Poesie an einem Abend mal näher beleuchtet – und dies ganz und gar nicht altmodisch oder gar verstaubt, sondern mit authentischem Ambiente. Die Veranstalterinnen der Gedicht-Nächte sind Anahita Sadighi und Susana AbdulMajid. Beide leben in Berlin und bringen mit „Poetry Nights“ einen Hauch nahöstlicher Poesie in das Zentrum der Großstadtlyrik. Doch wer sind die beiden eigentlich? Und was reizt sie so an der Dichtkunst des Morgenlandes?

Wer seid ihr und was macht ihr?

Anahita: Ich bin Anahita Sadighi, 1988 in Teheran geboren und in Berlin aufgewachsen. Vor zweieinhalb Jahren habe ich meine Galerie Anahita – Arts of Asia in der Schlüterstraße in Berlin-Charlottenburg eröffnet. Schwerpunkte der Galerie sind die antike Kunst des Vorderen Orients und des asiatischen Kulturraums. Gemeinsam mit der deutsch-irakischen Schauspielerin Susana AbdulMajid veranstalte ich seit zwei Jahren „Poetry Nights“ mit regelmäßigen Lesungen. Wir stellen mit einem wechselnden musikalischen Begleitprogramm Dichter/innen aus unserer Heimat vor.

Susana: Ich bin Susana AbdulMajid, 28 Jahre alt und Schauspielerin. Meine Mutter kam schwanger mit mir aus dem Irak nach Berlin, wo ich geboren bin – aufgewachsen bin ich in Heidelberg. Zum Schauspiel kam ich bereits als Jugendliche, durch das Arbeiten am Stadttheater Heidelberg. Nach dem Abitur ging ich zurück nach Berlin, um eine klassische Schauspielausbildung zu absolvieren. Neben Engagements in Wien, Berlin und Frankfurt, gründete ich vor zwei Jahren gemeinsam mit der Galeristin Anahita Sadighi „Poetry Nights“. Zur Zeit arbeite ich am Schauspiel Gießen und gleichzeitig an der Veröffentlichung meines ersten Buches „Blaues Babylon“. Ein Lyrikband, mit Gedichten und Kurztexten, die von einer Reise zwischen Ost und West erzählen, mitten in Berlin und natürlich aus weiblicher Perspektive.

Anahita Sadighi und Susana AbdulMajid

Wie kam euch die Idee zu „Poetry Nights?

Susana: Ich bin mit Lyrik aufgewachsen. Zwischen Plattenbau und Plattenspieler rezitierte mein Vater altarabische Dichter wie Imru Al Qais und Abu Alaa Al- Ma’arri, aber auch Zeitgenossen wie Nizar Quabbani und Adonis. Für jede Gelegenheit gab es einen passenden Vierzeiler. Im arabischen Kulturkreis ist Lyrik vor allem Ausdruck eines mythischen Bewusstseins.

Es zählt nicht, welchen Beruf du ausübst oder wie dein Kontostand gerade aussieht, sondern ob du „Sprache gewachsen“ und fähig bist, diese zu teilen. Gedichte zu rezitieren erfordert, sie zu empfinden, ja gar zu lieben. Letztendlich ging es uns darum einen Ort des Mit-, und Zuhörens zu schaffen. Die Schätze der vorderasiatischen Dichtkunst auch unter das deutsche Publikum zu bringen.

Susana AbdulMajid

Was unterscheidet Lyrik aus Persien von der aus Deutschland oder anderen Ländern?

Anahita: Die Kulturgeschichte der persischen Lyrik hat ihre Anfänge bereits im Altertum. Frühe Beispiele der persischen Dichtkunst lassen sich in den „Gathas“ (Gesängen) der Avesta – eine der ältesten und bedeutensten Religionsurkunden der Menschheit – der altiranischen Religion des Zoroastrismus – wiederfinden. In Persien ist die Dichtkunst weit verbreitet und wird seit jeher hoch geschätzt, sie ist ein wichtiger Bestandteil der iranischen Kultur. Andere Sprachen und Kulturen, wie z.B. die türkische und indische, wurden von persischen Dichtern beeinflusst. F. Rückerts „Oestliche Rosen“ und J.W. Goethes „West-östlicher Diwan“ sind Beispiele für das Interesse und die Faszination Europas für die persische Lyrik und Mystik.

Die persische Literatur ist bekannt für ihre einzigartige Schönheit und Komplexität der Sprache, die viel Raum für Interpretation zulässt. In der persischen Grammatik gibt es kein Maskulinum oder Femininum, lediglich das sächliche „u“, welches oft angesprochen wird und vielseitig gedeutet werden kann. Geliebte, Geliebter oder Gott – wer ist gemeint? Wen lese ich hinein? Auf besondere Weise verbindet die persische Lyrik die irdische und spirituelle Welt und hat auch heute noch eine große Ausstrahlungskraft, welche Menschen auf der ganzen Welt inspiriert.

Mit was verbindet ihr persönlich „Poesie?

Anahita: Ich bin mit Literatur und Gedichten aufgewachsen. Als Perserin ist man stolz auf seine Dichter, deren Werke Bestandteil der nationalen Identität sind. Man sagt, in allen persischen Haushalten gibt es neben dem Koran auch ein weiteres wichtiges Buch: einen Gedichtband von Hafis. Das sagt viel.

Obwohl ich in Berlin aufgewachsen bin, oder gerade deswegen, haben meine Eltern Wert darauf gelegt, dass wir Kinder die Werke der großen Dichter unserer Heimat kennenlernen. Dafür bin ich heute dankbar. Die Beschäftigung mit Poesie hat meinen Horizont erweitert und mir einen besonderen Zugang zu den Themen Religion und Spiritualität, Liebe, Identität ermöglicht. Ich finde Poesie cool.

Susana: Lyrik war in meiner Kindheit und Jugend allgegenwärtig – das Schöne an ihr ist, sie kostet nichts! Stimme, Mund und Vorstellungskraft sind die zugebrauchenden Instrumente. Ich erinnere mich gut, wie ich mit meiner Familie 2004 vor dem Fernseher saß und die Nachrichten verfolgte. Mitten in den Straßen Bagdads befragte eine Journalistin einen älteren Mann, der kurz zuvor sein Hab und Gut durch einen Luftangriff verlor, wo er diese Nacht denn schlafen wolle. Er antworte ihr mit einem Klagegedicht des abbasidischen Dichters Al Mutanabbi. Meine Eltern fingen zu weinen an.

Was macht Berlin als euren Standpunkt für die „Poetry Nights aus?

Anahita: Als gebürtige Berlinerinnen waren wir der Meinung, dass diese multikulturelle und experimentierfreudige Stadt in ihrer Literaturszene ein neues Format braucht, welches Literatur, Schauspiel und Musik auf neuartige Weise verbindet und unserer Generation einen frischen Zugang zu Literatur und Kultur ermöglicht. Wir wollen mit „Poetry Nights“ unsere Liebe für Poesie mit den Menschen teilen, Leute zusammenbringen und zu einem Kulturaustausch beitragen.

Anahita führt ihre eigene Galerie in Berlin: „Anahita – Arts of Asia“

Gibt es ein Gedicht, welches euch am meisten gefällt bzw. am meisten anspricht?

Anahita: Die Gedichte von Rumi, Saadi und Forugh Farrokhzad gefallen mir besonders. Es ist schwierig, sich für ein Gedicht zu entscheiden! Das Gedicht ‚On Loving’ von Forrugh, welches wir auf unserer Lesung vorgetragen haben hat mir sehr gut gefallen:


On Loving

Tonight from your eyes’ sky
stars rain on my poem,
my fingers spark, set ablaze
the muteness of these blank pages.

My fevered, raving poem shamed by its desires,
hurls itself once again into fire, the flames’ relentless craving.

Yes, so love begins,
and though the road’s end is out of sight, I do not think of the end.
It’s the loving that I love.

Why shun darkness?
The night abounds with diamond drops. Later, jasmine’s intoxicating scent lingers on the spent body of night.

Let me lose myself in you
till no one can find my trace. Let your dewy sigh’s fevered soul waft over the body of my songs.

Wrapped in sleep’s silk
let me grow wings of light,
fly through its open door
beyond the world’s fences and walls.

Do you know what I want of life?
That I can be with you, you, all of you, and if life repeated a thousand times, still you, you, and again, you.

Concealed in me is a sea: how could I hide it? How could I describe the typhoon inside?

I’m so filled with you
I want to run through meadows,
bash my head against mountain rocks, give myself to ocean waves.

I’m so filled with you
I want to crumble into myself like a speck of dust, to gently lay my head at your feet,
cling fast to your weightless shadow.

Yes, so love begins,
and though the road’s end is out of sight, I do not think of the end
for it’s the loving I so love.


Susana: Ich beschäftige mich momentan mit den Gedichten von Laila Al- Amariya. Sie war die platonische Geliebte des Dichters Qais bin al- Mulawwah und lebte im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel.


Der Madjnun war in keinem Zustand,

in welchem nicht auch ich selbst mich befand,

Doch er deckte das Geheimnis seiner Leidenschaft auf,

während ich vor lauter Verbergen dahinschmolz.

Der Madjnun von Amer deckte seine Leidenschaft auf,

während ich die meine verbarg und starb an meinem Leiden,

Und wenn am Jüngsten Tage laut gefragt wird,

wen die Leidenschaft getötet habe, so trete ich ganz allein vor.


 Anahita, wie schaffst du es als „jüngste Galeristin Berlins die Planung von „Poetry Nights“ unter einen Hut zu bringen?

Anahita: Gute Frage! Ich glaube die Freude und das Interesse an meiner Arbeit sind grundlegende Voraussetzung für den Erfolg meiner Ideen und Projekte. Es spielt vielleicht auch eine Rolle, dass ich früher neben der Schule musiziert habe, und Pianistin werden wollte. Das hat mich geformt. Dadurch fällt mir Multi-Tasking leicht. Man wächst auch mit seinen Aufgaben und lernt effizienter und sinnvoller zu arbeiten und Synergien zu entwickeln.

Anahita Sadighi

Gibt es einen Unterschied zwischen arabischer und persischer Poesie?

Susana: Natürlich, aber hierfür müssen wir zurück ins Reich der Sassaniden, einen Exkurs über die Mamluken, Seldschuken und natürlich die Abbasiden führen und ach ja, da waren ja noch die Zoroastrier..(Schmunzel) Sie verstehen, wie schwer es ist, die Geschichte dieser beiden Hochkultursprachen in kurzer Form zu beantworten. Ich versuche es zumindest kurz: Aus dem Arabischen stammt die „Quasida“, eine Gedichtform aus vorislamischer Zeit. Sie leitet sich vom Verb „ quasada“ ab, was mit „ ein Ziel verfolgen“ übersetzt werden kann. Die Dichter stärkten hierdurch ihre Stammesgemeinschaft, durch Glorifizierung des eigenen, bzw. Schmähung des verfeindeten Stammes. Sie gilt als eine der frühesten Formen gebundener arabischer Sprache.

Durch die islamische Expansion, weit über die Arabische Halbinsel hinaus, wurde die Quasida im 10. und 12. Jahrhundert durch die Verbindung mit Elementen persischer Lyrik zu einer der vier literarischen Gattungen der persischen Poesie. Widerum auf persischer Seite gab es eine andere, ausgesprochen „persische“ literarische Form aus vorislamischer Zeit: das Epische Gedicht. Sein Inhalt war die überlieferte mythologische Geschichte Persiens und seiner Herrscher. Später wurde es mit Neupersisch „wiederbelebt“ und erhielt mit dem „Shahnameh“ von Firdausi seine endgültige Prägung. Dies war nur ein oberflächlicher Einblick in die Geschichte der persischen und arabischen Literatur. Kommen Sie am besten zu unserer „Poetry Night“ und erleben Sie, wie zwei junge Frauen Lyrik rezitieren und gestalten und entscheiden Sie selbst! (Schmunzel)

Anahita: Natürlich unterscheidet sich die persische Kultur von der arabischen, wenngleich sie, historische bedingt, einen großen Einfluss auf sie hatte. Die arabische Poesie ist Teil der semitischen Kultur und die persische Lyrik Teil des indoiranischen Kulturraums. Beide Kulturvölker wurden durch eine eigene Mythologie und Entwicklungsgeschichte geprägt, und haben damit einhergehend auch eine andere Literaturästhetik und Denkart hervorgebracht. Dies manifestiert sich z.B. in unterschiedlichen Schönheitsidealen, Landschaftsbeschreibungen und philosophischen Lebensauffassungen.

Erwähnenswert ist auch die unterschiedliche Grammatik und Klangwelt beider Sprachen. Währen die persische Poesie durch einen weichen, harmonischen und musikalischen Klang besticht, überwältigt die arabische Poesie durch eine expressive und kraftvoll rhythmische Rezitation. Beide Sprachen verbindet die Mehrdeutigkeit zahlreicher Wörter, mit oft entgegengesetzten Bedeutungen, welches komplexe und reife Sprachkulturen kennzeichnet.

Eure erste Veranstaltungsreihe hieß „Im Not Your Exotic Girl – Werden persische und arabische Frauen immer noch eher als „exotische Schönheiten und nicht als selbstbewusste Frauen wahrgenommen?

Anahita: Auf jeden Fall, nicht wahr Susu? (schmunzel). Wir erleben das tatsächlich oft wenn wir gemeinsam unterwegs sind. Es ist natürlich nicht immer so, aber es fällt schon auf. Leute lieben Klischees. Daher kamen wir auch auf den Titel: „I Am Not Your Exotic Girl“, ein Format innerhalb unserer Lesereihe, bei der wir die Literatur von starken Frauen aus dem persisch-arabischen Raum vorstellen. Wir möchten zeigen, dass die große morgenländische Dichtkunst keine ausschließliche Domäne der Männer ist.

Frauen in der arabischen und persischen Dichtkunst sind klug, frech und vor allem selbstverständlich. Dass Frauen aus dem persischen und arabischen Raum nicht nur schön, sondern oft auch selbstbewusste und starke Persönlichkeiten sind, erlebt man auf unseren „Poetry Nights“. Und vor allem schließt das eine das andere auch nicht aus.

Veranstaltungsbanner von „I’m Not Your Exotic Girl“

Wie könnt ihr euch das allgemein steigende Interesse an persischer Poesie erklären?

Anahita: In Bezug auf unsere Lesungen gibt es dafür verschiedene Gründe. Zum einen werden kaum persische Werke in der Öffentlichkeit rezitiert und diskutiert, obwohl solche Veranstaltungen meiner Meinung nach genug Menschen ansprechen würden. Allgemeine Neugier und Interesse an der persischen Kultur spielen auch eine Rolle, besonders in Europa. In Zeiten der Refugee Crisis, den Migrationsbewegungen, einer wachsenden Islamophobie und dem Rechtsruck in Europa gewinnen unsere vorgetragenen Themen und Texte an aktueller Brisanz und sollten zu einem selbstverständlichen Teil des öffentlichen Diskurses unseres kulturellen Lebens und Miteinanders in Deutschland werden.

Wie sehen eure Zukunftspläne für „Poetry Nights“ aus?

Anahita: Wir wollen damit natürlich groß rauskommen (schmunzel).

Unsere Vision ist es, nachhaltig mehr Menschen und vor allem junge Leute für Literatur und Kultur zu begeistern und die Vielseitigkeit der persischen und arabischen Autoren/innen vorzustellen und spannende Diskussionen anzuregen. In unserem schnelllebigen digitalen Zeitalter mit wachsenden Identitätsproblemen kann das gemeinsame Lesen und Hören von Literatur ein neues Verständnis schaffen. Literatur und Kunst verbindet die Generationen und verschiedene Kulturräume.

Als junge Musliminnen in Deutschland möchten wir mit unseren Lesungen auch die Wahrnehmung des Nahen Ostens neu färben und damit verbunden das verbreitete Bild des Islam und seiner oft vergessenen, jedoch bedeutenden spirituellen Dimensionen neu hinterfragen und auf einen bedeutenden Teil unserer nationalen kulturellen Identität aufmerksam machen, welche wichtige Brücken zwischen Ost und West schaffen kann. „Poetry Nights“ verbindet auf sehr persönliche und besondere Weise kulturelles Erbe und Berliner Szene und wir hoffen, dass sich unsere Abende als kreative Arbeit von modernen Musliminnen in Europa etablieren, vielleicht gar zu einem positiven Dialog der Kulturen und Generationen beitragen. East meets West in the heart of West-Berlin.

Susana: Ich stimme Anahita vollkommen zu und habe nichts hinzuzufügen.

Zuschauerinnen während einer „Poetry Night“

 

Am 1. März findet wieder eine „Poetry Night“ statt. Zum persischen Frühlingsfest Norouz könnt ihr euch von morgenländischer Lyrik aus längt vergangenen Zeiten und der Moderne inspirieren lassen. Hier geht’s zur Veranstaltung!