ISTANBUL, EINE STADT WIE KEINE ZWEITE

Vor genau drei Jahren besuchte ich zum ersten Mal Istanbul. Vorerst nur als Durchreisender. Denn Istanbul sollte nicht das Ziel meiner Reise sein, sondern eher ein kleiner zwölfstündiger Zwischenstopp auf dem Weg in die nächste City, die von Kontrasten – wie Istanbul auch – nur so trotzt: Tel Aviv.

Nach aufregenden zwölf Stunden in der Millionenstadt betrat ich den Flieger am asiatischen Flughafen Sabiha Gökcen und erwischte mich kurz bei der Frage, warum ich diese Stadt jetzt hinter mir lassen müsse. Tja, ganz einfach weil ich meinen Flug eigentlich nach Tel Aviv gebucht hatte. Ein beklemmender Druck, den ich zunächst nicht richtig deuten konnte, legte sich auf meine Brust. Nur peu á peu wurde mir klar, was in den letzten zwölf Stunden mit mir passiert ist. Ich hatte mich Hals über Kopf verliebt. Und zwar in Istanbul.

Kaum zwölf Monate später dann die längst überfällige Entscheidung. Ich buchte meinen nächsten Flug nach Istanbul. Und nur nach Istanbul. Zu viel hatte ich in den zwölf Stunden im Jahr zuvor erlebt. Zu viel hatte ich gesehen. Zu viel habe ich gefühlt, als ich bei Sonnenuntergang das erste Mal mit der Fähre von der europäischen zur asiatischen Seite übersetzte, während die Muezzin Gesänge die gesamte Stadt in eine magische Stimmung hauchten. Was blieb war Sehnsucht, ja pures Verlangen, diese Stadt endlich kennenzulernen.

 Seitdem ist vieles passiert. In Istanbul als auch in meinem Leben und zu guter Letzt auch mit mir in Istanbul. Eines bleibt wohl für immer gleich. Ich komme immer und gerne wieder. Für zwei Tage, für eine Woche, so lange es mir die Zeit eben erlaubt. Im Sommer. Im Winter. Ich bekomme nicht genug von dieser sagenumwobenen Stadt.

Ich bin dem Mysterium dieser Stadt dicht auf der Spur. Von Besuch zu Besuch dringe ich tiefer an den Kern der Wahrheit vor. Doch die Lösung – das große Ganze wenn man so will – bleibt mir nach wie vor verborgen. Ich wage zu behaupten, diese Stadt nicht mehr wie einer der vielen Touristen zu sehen, die tagtäglich nur so in Scharen durch die Stadt strömen. Drum möchte ich euch heute die Stadt zeigen, die ich kennen und lieben lernen durfte und wie ich euch wünsche, sie auch kennen und vielleicht wie ich auch lieben zu lernen.

ISTANBUL PER BOOT

Wahrscheinlich geht dir vor deinem ersten Istanbul-Besuch gehörig die Muffe. Bei knapp 15 Millionen Einwohnern und einer Fläche von knapp 6.000 Quadratkilometern ist das auch kein Wunder. Es ist die Stadt, die niemals schläft. Es ist die Stadt, in der Rush-Hour eigentlich Rush-24-Hour heißen müsste. Es ist die Stadt die von Klaustrophobikern besser gemieden werden sollte. Von jeder noch so kleinsten Seitenstraße drängen Menschen in jegliche Himmelsrichtung, an jeder Ecke wird gehandelt und gefeilscht. Es ist laut, es ist eng, im Sommer unermesslich heiß. Tja es ist wie es ist, das pure Leben.

Da Istanbul an der Meeresenge des Bosporus gebaut wurde, bietet es sich an, dem regen Treiben zu entfliehen und die Stadt und ihre Viertel vom Wasser aus kennenzulernen. Doch bitte nicht mit einer touristischen Hafenrundfahrt – kauft euch eine Istanbulkarte liebe Leser. Ladet 10 Lira drauf und fahrt mit einer der Fähren zum nächsten Pier auf der anderen Meeresseite und wieder zurück. Für umgerechnet gerade einmal 1 Euro genießt ihr einen sagenhaften Blick auf die Millionenstadt und spürt das Privileg hautnah, das jeder in Istanbul Lebende hat, der täglich mit einer Fähre die Bosporus-Seite wechseln darf. Da ist Magie in der Luft – ihr werdet es spüren!

IMMER DEINEN SINNEN NACH

Bucht euch keine Hafenrundfahrt, macht keine Stadtrundfahrt und macht bloß nicht den Fehler mit einer Stadtkarte vor dem Gesicht, den großen Bazar suchend all die kleinen und großen Überraschungen zu verpassen, die Istanbul an wirklich jeder Ecke bereit hält. Lasst euch Treiben, sprecht mit den Einheimischen, trinkt einen viel zu süßen Cay und beobachtet die Fischer beim Sonnenuntergang an der Galata Köprüsü. Ihr solltet euch besser vom Gedanken verabschieden, alles vermeintlich Wichtige der Stadt sehen zu können. Es ist schlichtweg unmöglich. Die Stadt offenbart in jeder Minute an einem jedem Ort eine ganz eigene eindrucksvolle geheime Geschichte, die in keinem Reiseführer der Welt steht. Keep calm und haltet Augen, Nase, Ohren und Mund weit geöffnet. Der nächste Gewürzmarkt ist schon um die Ecke, ihr könnt es riechen! Falls nicht, halb so wild, der Weg ist das Ziel. Auch in Istanbul!

KULTUR MIT JEDER MOSCHEE

Istanbul ist ein regelrechtes Labyrinth. Dicht an dicht winden sich die Gebäude und Straßen in Eminönu oder im traditionellen Viertel Fatih hoch bis zur Blauen Moschee, während auf der asiatischen Seite im Wochentakt futuristische Hochhäuser mit weitem Blick über den Bosporus hochgezogen werden. Überall dazwischen liegen tausende enge Gassen, Märkte und Bazare und nicht zu vergessen, eine Moschee an der anderen. Kein Wunder, dass es in einer muslimischen Stadt, in der knapp 2.400 Menschen auf einem Quadratmeter leben, über 3.000 Moscheen gibt. Jeder Zentimeter von Istanbul strotzt nur so von Religion und Kultur. Aber auch von Konflikten, die an jedem Ort und zu jeder Zeit neu entfachen können. Obgleich Istanbul zumindest zur Hälfte zum europäischen Boden gehört, könnte man in dieser Millionenstadt kaum weiter weg sein von dem Europa, wie wir es kennen.

DIE VERWUNSCHENE STADT

Wenn im Frühling mal wieder der berühmt-berüchtigte hartnäckige Nebel aufzieht und die Nebelschwaden die Stadt am Bosporus unter sich verschlucken, ist Istanbul wie in Trance. Es scheint fast, als würden die Uhren der Zeit für einen Moment langsamer ticken, der Lärm der Großstadt würde unter der Glocke verblassen und nur die Möwen, die kurz aus den Wolken stürzen um wenig später wieder in ihnen zu verschwinden, erinnern kurz daran, welche großartige Silhouette sich hinter dem dichten Dunst verbergen muss. Wer glaubt, bei diesem Wetter die Zeit lieber in den vier Wänden verbringen zu müssen, hat sich getäuscht. Denn auch jetzt zeigt Istanbul Seiten, die man gesehen haben muss. Wie in einem Märchen ragt der Galata-Tower oder die Bosporus-Brücke am fernen Horizont aus dem Wolkenmeer und offenbart das Geheimnis dieser verwunschenen Stadt.

DAS TOR ZUM ORIENT

Istanbul ist das Ende des europäischen Kontinents und gleichzeitig der Beginn eines Neuen: Asien. An keinem anderen Ort der Stadt wird dies einem deutlicher bewusst, als an dem mittlerweile verlassenem Bahnhof Hayderpasa. Noch heute erinnert dieses, von deutschen Architekten erbaute Monument, an einstige Zeiten, in denen der am Hafen von Hayderpasa gelegene Bahnhof das Tor zum Morgenland und gleichzeitig Endhaltestelle des Orient-Express’ war. Heute steht hier die Zeit still. Der Bahnhof hat schon Jahre keine fahrenden Züge oder gestresste, bepackte Reisende mehr gesehen.  Was bleibt ist die Erinnerung an einst schillernde Zeiten, in denen der ehemalige Luxus-Zug Weltbürger von Paris bis nach Konstantinopel – dem Tor zum Orient – brachte. Einige Palmen vor der prunkvollen Wartehalle und verlassene Züge lassen die einstigen Erinnerungen aufleben und auch ich fühle mich zurück in Zeiten versetzt, in denen dieser Bahnhof das Tor zur großen weiten Welt bedeutete.