Nahezu jeder kommt in den heutigen Zeiten in Situationen, in denen man das eigene Leben zeitweise durchorganisieren muss, damit man die gewünschten Ziele erreichen kann. Das ist an und für sich nichts Besonderes und stellt auch normalerweise kein großes Problem dar. Doch lastet auf uns ein starker Druck, immer besser in allem zu werden
„Doch lastet auf uns ein starker Druck, immer besser in allem zu werden.“
Spätestens in den Schulen beginnt es mit Noten, die eigentlich immer besser sein könnten, als sie sind. Manchmal fängt es auch schon früher an, nämlich wenn Eltern ihre Kinder zum Beispiel in der Fähigkeit zu laufen oder zu sprechen vergleichen. Hierbei folgen Eltern häufig den Vorstellungen, die an sie von außen herangetragen werden. Später, wenn wir älter werden, übernehmen wir diese Vorstellungen davon, wie unser Leben auszusehen hat, und machen sie zu unseren eigenen. Es kommt uns dann vor, als hätten wir schon immer so gedacht und als wäre es unsere eigene Sicht auf das Leben.
An dieser Stelle möchte ich klarmachen, dass ich es für einen natürlichen und durchaus guten Vorgang halte, sich und seine Vorstellungen mit denen anderer zu vergleichen. So erhalten wir Ansatzpunkte, bei denen wir unsere eigene Einstellung überprüfen und im Zweifelsfall weiterentwickeln können. Wofür ich eintreten möchte, ist ein größeres Bewusstwerden von den eigenen Vorstellungen, die das eigene Leben betreffen. Das heißt, wir dürfen auch ruhig andere Einstellungen, die wir durch Einflüsse von außen erhalten, annehmen. Doch sollten wir vorher prüfen, ob wir das auch wirklich wollen. Ebenso können und dürfen wir den Mut aufbringen, Haltungen zum Leben und zu sich selbst zu entwickeln, die nicht gerade weit verbreitet sind und die deshalb vielleicht sogar anecken! Dabei muss jeder für sich selbst beurteilen, wie stark er oder sie gegen den Strom zu schwimmen bereit ist. Denn ein bisschen Gesellschaft und Gemeinschaft brauchen wir in der Regel, um glücklich zu sein, und deswegen ist die richtige Balance zwischen der eigenen Lebensweise und dem Zusammenleben mit anderen Menschen in einer Gesellschaft sehr wichtig.
„Wir dürfen auch ruhig andere Einstellungen, die wir durch Einflüssen von außen, annehmen.“
Greifen wir nun das Problem vom Anfang wieder auf, also das Durchorganisieren des eigenenLebens unter starkem Druck, welches man auch als Selbstoptimierung bezeichnen könnte, darf man sich also fragen: Wozu das Ganze? Warum sollte ich mich selbst optimieren, also zum Besten verändern wollen? Oberflächlich betrachtet würde man vielleicht sagen: Na klar, was sonst!?
So einfach ist es aber nicht. Denn dahinter steht oft der Gedanke, man könne die eigene Leistung in Zahlen messen und diese eigene Leistung sei das, was uns Wert verleihe beziehungsweise worauf es im Leben ankäme. Diesen Schritt möchten aber mit Sicherheit nicht alle mitgehen, siehe hierzu den bereits erschienenen Artikel „Versunken im Strudel der Zeit“ in der Kolumne: #lebenskunst4null.
Eine weitere Schwierigkeit, die ich mit dem Gedanken der Selbstoptimierung habe, ist ein Missverhältnis, welches nicht sofort sichtbar ist. Meiner Meinung nach wird häufig vorausgesetzt, dass wir einer Sache dienen. Hauptsächlich dienen wir als Arbeitskräfte, als Humankapital einer Firma, als gute Staatsbürger usw. Selbst wenn uns eingeredet wird, wir täten alles nur für uns selbst, ist das meistens nur eine Teilwahrheit, wenn überhaupt.
„Hauptsächlich dienen wir als Arbeitskräfte.“
Die meisten Menschen, denen ich begegne, treffen Entscheidungen in ihrem Leben, wie zum Beispiel die Studiengangswahl oder Praktika mit der einen Maxime, einen Job zu bekommen und Geld zu verdienen. Das heißt sie fällen wichtige Entscheidungen, die nicht unmittelbar gut für sie sind, sondern nur mittelbar. Wenn also jemand zum Beispiel Jura studiert, weil er damit bessere Job- und damit verbundene Gehalts- Aussichten hat, er aber seine Tätigkeit nicht ausstehen kann, besteht der Vorteil dieser Vorgehensweise nur in mehr Geld und evtl. Ansehen. Diese Vorteile sind deswegen mittelbar, weil die Tätigkeit selbst, die zu dem Einkommen führt, nicht gewollt wird. Selbstoptimierung kommt hierbei ins Spiel, wenn diese für einen solchen Weg erforderlich wird, wenn also in dem Beispiel derjenige, der Jura studiert, sich selbst „optimieren“ muss, um einen Abschluss zu erreichen.
Auch hier erkennt man wieder den mittelbaren Charakter dieser Entscheidungen. Das bedeutet, der Jura-Student geht nicht seinen Wünschen, Bedürfnissen und Fähigkeiten nach, die er besitzt. Auf diese Weise könnte er einen Lebensweg bestreiten, bei dem er es nicht nötig hätte, sein Leben derart künstlich dem Studium und später seiner Arbeit unterzuordnen und so stramm zu organisieren, dass für anderes kaum noch Zeit und Kraft verbleibt. Weil der Student aber den anderen Weg wählt, muss er sich Selbstoptimierungszwängen unterwerfen, ohne die sein Vorhaben wahrscheinlich scheitern würde.
„Weil er Student aber den anderen Weg wählt, muss er sich Selbstoptimierungszwängen unterwerfen, ohne die sein Vorhaben wahrscheinlich scheitern würde.“
Fazit: Geht man von der Vorstellung aus, der Wert eines Menschen definiere sich über die Leistung, die er erbringt, muss man aus meiner Sicht Selbstoptimierung ablehnen, da es als Mittel genutzt werden kann, sich selbst zu verformen und zu unterdrücken, indem man sich selbst ignoriert und unterordnet. Selbstoptimierung ist auch generell abzulehnen, weil es meiner Meinung nach kein Optimum, also nicht die beste Version von uns selbst, gibt. Dennoch ist eine eigene Entwicklung und ein Streben etwas sehr natürliches und gehört zum Leben dazu. Letzteres ist dann förderlich, wenn man auf die eigene innere Stimme hört und nicht ein zu starkes Missverhältnis entstehen lässt, wie es dieser Text beschreibt.