ANKUNFT
Kalt ist es in Budapest. Als ich an diesem Dezembertag aus dem gerade im Bahnhof Keleti zum Halten gekommenen Zug steige, verwandelt sich mein Atem sofort in eine feine Wolke. Es ist mein erster Besuch in der ungarischen Hauptstadt und ich habe mir für diesen vorweihnachtlichen Wochenendtrip vorgenommen, auf alle überambitionierten Pläne im Vorfeld zu verzichten und mich als interessierte Unwissender durch die Stadt treiben zu lassen.
Dieses Unterfangen erweist sich schon beim Heraustreten aus dem Bahnhofsgebäude als schwierig. Es gibt nämlich kein richtiges Zentrum, an dem man sich orientieren könnte, vielmehr entstand Budapest durch die Verschmelzung der sich an beiden Ufern der Donau gegenüberliegenden Städte Buda und Pest, die jeweils über eigene Zentren verfügten.
Alles, was ich in Händen halte, ist die Wegbeschreibung zum Appartement unseres Airbnb-Gastgebers, der uns nicht weit vom Bahnhof vor einem Gebäude empfängt, dessen Fassade so aussieht, als löse sie sich jeden Moment in Wohlgefallen auf. Drinnen jedoch werden wir gleich dreimal überrascht. Zuerst von dem imposanten, nach oben hin offenen Innenhof mit den rundherum führenden Balkonen, dann von der geräumigen Altbau-Wohnung, die hinter einer der unscheinbaren, grünen Metalltüren beginnt, die auf den obersten Balkon hinaus führen und schließlich von einer Flasche ungarischem Rotwein sowie einer persönlichen Karte mit den Lieblingsorten unseres Gastgebers.
DAS JÜDISCHE VIERTEL: HOTSPOT ZWISCHEN JUGENDSTIL UND SHABBY CHIC
Unsere Unterkunft liegt im Jüdischen Viertel, dem 7. Bezirk von Budapest, der sich hinter der Großen Synagoge, der größten in Europa, trapezförmig zwischen vier breiten Boulevards aufspannt. Es wirkt wie ein symbolisches Statement zur leidvollen Vergangenheit dieses Viertels, dass ausgerechnet hier das junge Herz der Stadt schlägt. Indem man einfach im Zickzackkurs zwischen Wesselenyi und Kiraly-Straße wechselt, erlebt man an einem einzigen Tag eine kleine Reise durch die Moderne. Da tritt man wohlgesättigt aus einer israelischen Hummus-Bar, um auf der gegenüberliegenden Straßenseite in einen Laden für Vintage-Mode zu stolpern. Man biegt um die Ecke und steht vor einer riesigen Markthalle im Jugendstil, die sich gleich neben einer Brachfläche befindet, wo Streetfood-Stände neben ungarischem Langós auch mexikanische Tacos und Pulled Pork-Burger anbieten.
Ein Brennpunkt dieser multikulturellen, weltgewandten, übernationalen Identität sind die Gozsdu-Höfe. Sechs Innenhöfe, die allesamt miteinander verbunden und von Restaurants, Bars und Cafés jeglicher Ausrichtung flankiert sind. Im Sommer sitzt man hier selbstverständlich unter freiem Himmel, im Winter darf man sich in den beheizten Vorzelten etwas aufwärmen. Wir haben das Glück, genau zur richtigen Zeit dort anzukommen, denn jedes Wochenende findet ein Markt statt, wo neben dem üblichen Souvenir-Kram auch schmuckes Kunsthandwerk zu wirklich verlockend günstigen Preisen ausgestellt wird.
Was die Abendgestaltung betrifft, halten wir uns an den Tipp, der sowieso an jeder Ecke die Runde macht. Das Jüdische Viertel ist nämlich berühmt für seine Ruin Bars, schummrige Etablissements zwischen bierseliger Kneipe und Live-Music-Bar, die meist in den Kellern baufälliger Gebäude untergebracht sind. Die bekannteste – und damit zwangsläufig auch vollste – ist das Szimpla Kert, das gleich ein ganzes mehrstöckiges Haus einnimmt und wohl am ehesten dem ähnelt, was man Abenteuerspielplatz für Große nennt. Gedämpfte Musik wabert durch Dutzende in verschiedenen Farben beleuchtete Räume, deren Wände mit Bilderrahmen, Spiegeln, Neonreklame und weniger definierbaren Dingen behangen sind. Und über allem hängt eine erstaunlich wohlige Wärme, durchsetzt von einer Geruchsmelange aus Grill, Bier und Deo-Roller. Unschwer sich vorzustellen, hier ein ganzes Wochenende verbringen zu können.
MAN GEHT ÜBER EINE BRÜCKE UND IST IN EINER ANDEREN STADT
Wie in vielen Städte, die an einem Fluss liegen, herrscht auch in Budapest dieser unbestimmbare Sog, der einen, am überfüllten, wild blinkenden Weihnachtsmarkt vor der Stefansbasilika vorbei, unwillkürlich ans Wasser zieht. Die Donau geniert sich ein bisschen, hartnäckiger Nebel hängt über der fast unbewegten Oberfläche.
Auf der anderen Seite der Brücke wartet eine andere Stadt. Hier, wir sind nun in Buda, ist es nicht nur wesentlich hügeliger als im weitestgehend flachen Pest, auch die Häuser sehen anders aus. Mittelalterlicher, dörflicher, stiller irgendwie. Die Straßen sind mit Kopfsteinpflaster ausgelegt, von ihnen gehen schmale, steile Gassen ab. Und über allem thront der Burgpalast.
Ok, es mag gerade im Winter einiges an Überwindung kosten, nicht die beheizte Zahnradbahn hinauf zu nehmen, aber der Aufstieg durch das Burgviertel, vorbei an der Fischerbastei und der neogotischen Matthiaskirche, lohnt die Mühen. Am Burgpalast schließlich versuchen wir, den Selfie-Sticks wildgewordener Reisegruppen so gut wie möglich auszuweichen, um zu den Terrassen etwas rechts des Vorplatzes zu gelangen, wo sich uns– dem Nebel sei dank – ein etwas verkürztes Panorama über Pest eröffnet. Sonst soll das hier aber einer der besten Aussichtspunkte sein.
DIESE STADT BLEIBT EINE ÜBERRASCHUNG
Was bleibt nun hängen von diesem Winterwochenende in Budapest?
Zuerst sind da die Überraschungseffekte, die in dieser architektonischen Vielfalt und dieser seltsamen Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen stecken. Extravagante Innenhöfe, die sich hinter rußgeschwärzten Fassaden verbergen; Kirchen, die in Häuserfronten verschwinden; labyrinthische Kellerkneipen, deren Eingänge so unscheinbar sind, dass man dreimal daran vorbeiläuft, bevor man sie findet. Man muss nur einmal von den breiten Boulevards mit den prächtigen Jugendstil-Bauten abbiegen, ein paar Schritte gehen und findet sich in einer Straße wieder, deren Häuser über und über mit Graffiti verziert sind. Dazwischen eingesprenkelte Versuche des Modernen: Sozialistische Funktionsbauten, Glasfassaden-Ästhetik wie im Akvárium Klub. Neben dem Alten liegt immer auch das Neue.
Zum anderen spürt man den kreativen Enthusiasmus, mit dem die Bewohner dieser Stadt ohne falschen Respekt den Leerstand nutzen und dem Alten neues Leben einhauchen. Auf Brachflächen im Jüdischen Viertel entstehen temporäre Kulturprojekte, hässliche Brandschutzmauern werden mit virtuosen Murals überdeckt, verblichene Stadtvillen werden zu Cafés, zu Bars, zu Clubs. Dabei darf auch groß gedacht werden. Wie im Szimpla zum Beispiel. Oder eben wie in den Goszdu-Höfen.
Als ich meine Tasche für die Heimreise packe, habe ich das Gefühl, nur einen winzigen Bruchteil dessen gesehen zu haben, was in dieser Stadt steckt. Budapest scheint sich diesem Bedürfnis nach vollständiger Erkundung noch mehr zu entziehen, als andere Metropolen dieser Größe. Eben weil es sich vieler Orten neu erfindet und überraschend bleibt. Wenn man sich damit nicht abfinden kann, gibt es nur eine Lösung: Immer wieder kommen.
KOOPERATION
Die Reise nach Budapest fand in Kooperation mit Airbnb statt. Folgt unserem Partner auch auf Instagram, Facebook oder Twitter. Sämtliche redaktionell entstandenen Beiträge bleiben von der Kooperation unberührt.
Wir danken Airbnb für die wunderbare Zusammenarbeit bei der Planung und Durchführung unserer Reise. Das schöne Appartement unserer Gastgeber findet ihr hier.