JEDER WAR SCHON IN PARIS. AUSSER MIR.

Paris ist eine der meist besuchten Metropolen der Welt. Jeder war schon dort. Außer mir. Trotzdem erscheint mir die Stadt nicht fremd. All die Filme, die Bücher und die Erzählungen, ja selbst die Lehrmaterialien aus dem Französisch-Kurs haben ein imaginäres Bild geschaffen, das so real wirkt, als könne es die Lücke des tatsächlichen Erlebnisses füllen. Wie es ist, zum ersten Mal in eine Stadt zu reisen, die man schon zu kennen glaubt.

Die Nacht vor der Abreise: Eine Nachricht poppt auf dem Handy-Display auf. „Bist du wirklich sicher, dass du nach Paris fliegen möchtest?“ steht drin. Dazu ein Link zu einer Bildergalerie von tagesschau.de. Der Dauerregen der letzten Tage hat die Seine so stark ansteigen lassen wie seit 35 Jahren nicht mehr. Der Pegel schwoll innerhalb einer Woche von 1,50 m auf 6 m an. Das Wasser hat die Uferpromenaden verschluckt, die Museen am Fluss bringen ihre Kunstwerke in Sicherheit, selbst auf dem Marsfeld steht die Flut. Es ist, als wolle der Himmel nicht, dass ich nach Paris komme. Einige Krisentelefonate am nächsten Morgen bringen den Entschluss: Wir fliegen trotzdem!

Die Reise beginnt denkbar schlecht: Wegen mehrerer Unwetter und einem technischen Defekt am Flugzeug kommen wir erst gegen Mitternacht – vier Stunden später als geplant – am Flughafen Charles de Gaulle an. Die letzte Bahn in die Stadt, die passenderweise auch gerade bestreikt wird, ist da natürlich schon weg. Die Weltverschwörung ist real! Wir steigen also auf ein Taxi um, das uns zum Einheitstarif von 50 Euro in die Stadt bringt. Um halb Zwei in der Nacht kommen wir am Hotel an. Die Beziehung zu Paris kriselt zu Beginn gehörig. Wenigstens ist das Bett weich.

Am nächsten Morgen das nächste Problem: Wo fängt man an, wenn alles so vertraut klingt? Rive Droite, Rive Gauche, Place de la Concorde, Jardin des Tuileries – ich spreche wie ein Eingeweihter von Orten, die ich noch nie gesehen habe. Vielleicht hilft ja der Gottesblick auf die Stadt. Das Hotel hat eine Dachterrasse. Die Aussicht ist wunderbar, aber genau so hatte ich mir sie auch vorgestellt. Schornsteine, grünliche Kupferdächer, am wolkenverhangenen Horizont der Eiffelturm – das alles stimmt schlechterdings mit dem Bild in meiner Fantasie überein.

DER UMWEG ÜBER DIE SINNE

Normalerweise würde ich nun damit beginnen, einfach loszulaufen und alles, was mir auf dem Weg begegnet, mit den Vorstellungen und Erwartungen abzugleichen, die man unweigerlich auf einer Reise in eine unbekannte Stadt im Gepäck hat. Doch die Regenwolken hängen noch immer drohend über den Straßen und so nimmt meine erste Begegnung mit Paris einen anderen Beginn. Mit der Métro fahren wir zum Marché Saint Germain, der mit seinen hübschen Arkadengängen mitten im Viertel Saint-Germain-des-Près liegt und unter seinem Dach den kulinarischen Reichtum des Landes ausstellt. Die Auslagen der Händler, die mit Probierstückchen und Geschichten locken, sind gefüllt mit Pasteten und luftgetrockneter Salami, mit Camembert und Ziegenkäse, Austern aus der Bretagne, leuchtendem Gemüse aus dem Loire-Tal und Kräutern aus der Provence, deren betörender Duft die Luft erfüllt. Es ist ein Umweg über die Sinne, denn so intensiv eine Fantasie auch ist, schmecken, riechen, fühlen kann man einen Ort nur, wenn man anwesend ist.

DIE KUNST, DAS DESSERT ALS AUSRUFEZEICHEN ZU SETZEN

Gerade dann, wenn man glaubt, man habe es nicht nötig, ist es ratsam, auf die Erfahrung von Leuten zurückzugreifen, die nicht nur einem imaginären Bild nachhängen, sondern ihre Stadt wirklich kennen. Also haben wir eine Tour gebucht. Unseren Guide, einen Lebemann und Gourmand mit Einstecktuch und Wurzeln in der Schweiz treffen wir vor dem „Maison du Chocolat“, nicht weit von der Markthalle entfernt. Darum soll es nämlich in den nächsten drei Stunden gehen: Die Kunst der Franzosen, das Dessert als Ausrufezeichen hinter jedes Menü zu setzen. In den besten Patisserien und Schokoladen-Manufakturen der Stadt probieren wir Pralinen, Macarons, und Kuchen, die funkensprühend am Gaumen explodieren und mir eine Ahnung vom Lebensgefühl der Menschen in dieser Stadt geben, das so oft zitiert wurde, dass es schon fast wieder unglaubwürdig schien. Aber ja, es ist das sich Zeit nehmen für den einen Bissen, der nichts anderes ist, als eine Widmung an den Moment, das hier in den kakaoduftenden Werkstätten der Chocolatiers und im Enthusiasmus des Guides zum Ausdruck kommt.

JAGE ICH EINER ILLUSION NACH?

Überhaupt, und das wird mir auf diesem Spaziergang durch Saint-Germain-des-Prés zum ersten Mal bewusst, bin ich seit meiner Ankunft damit beschäftigt, einer romantischen Illusion nachzujagen, die nach Akkordeon klingt, nach Gitanes-Zigaretten riecht und wie dieser Film von Woody Allen aussieht. Manchmal schleicht sich gar so etwas wie Enttäuschung ein, wenn ein Ort diesem Idealbild nicht nahe genug kommt. Da ist es fast erleichternd, dass ich nicht der Einzige zu sein scheine, der dem Geist der Vergangenheit so empfänglich gegenübersteht. Zumindest ist das der Eindruck, wenn man die beträchtliche Schlange vor dem Buchladen „Shakespeare & Company“ sieht. Dieses zweistöckige Gebäude in der Nähe der Kathedrale Notre-Dame, dessen spärlich beleuchtete Räume im Inneren über und über mit englischsprachigen Büchern vollgestellt sind, trägt nämlich gehörige Bedeutung für die Weltliteratur: Die „Lost Generation“ hing hier ihrem Schwermut nach, Ernest Hemingway war Stammkunde und auch die Dichter der Beat Generation erkoren den Laden zu ihrem Treffpunkt. Seitdem scheint sich – bis auf die vielen japanischen Touristen und die „Fotografieren verboten!“-Hinweise – kaum etwas verändert zu haben, denn in den muffigen Ohrensesseln und mit Kissen ausstaffierten Couch-Ecken liest es sich immer noch vortrefflich, während draußen der Regen gleichmäßig ans Fenster prasselt.

DIE SEINE VERSCHLUCKT DAS UFER

Wie steht es eigentlich um die Seine? Nun, der Fluss reicht fast bis an die Brücke heran, die auf die Île de la Cité führt, die Uferpromenaden sind im bräunlich grünen Wasser verschwunden und die Bäume biegen sich unter der Naturgewalt. Nur die rot-weiß gestreiften Pegelmesser schauen noch verschämt aus dem Wasser heraus. Entlang der Kais, wo normalerweise die Souvenirverkäufer mit ihren Holzverschlägen auf Kundschaft hoffen, drängen sich die Leute für Fotos. Hochwasser – auch ein Schauspiel, das einen Paris-Besuch unvergesslich machen kann.

ES WIRD NACHT IN DER STADT DER LICHTER

Der Einbruch der Dunkelheit kann den Blick auf eine Stadt manchmal grundlegend verändern, gerade wenn sie – neben der ganzen Liebesgeschichte – den Ruf der „Stadt der Lichter“ hat. Und tatsächlich fühlt es sich am Beginn dieser Nacht an, als entflammte mit dem goldenen Licht der Laternen ein unwiderstehlicher Sog, als erfülle eine gewisse Leichtigkeit die Straßen rund um die Brasserie „Le Progrés“, die sich unweit der Métro-Station Saint-Sébastien-Froissart im Ausgehviertel von Paris befindet. Das mag darin begründet liegen, dass vor jedem Café, vor jedem Bistro, vor jeder Brasserie, die Stühle der Straße zugewandt sind. Ich sitze also im Schutze der ausgefahrenen Markisen und beobachte aus dem dichten Stimmengewirr heraus, wie vom regennass glitzernden Asphalt gespiegelte, gut aussehende Menschen die Nacht mit Leben füllen. Und es ist, als säße ich schon ewig hier.

MONTMARTRE

Hätte ich die Vorstellung, die ich mir vor der Reise von Paris gemacht hatte, zeichnen sollen, das Ergebnis sähe aus wie Montmartre. Als wir am nächsten Morgen einen Spaziergang durch die gewundenen Gassen des von Mythen umflorten Viertels bis hinauf zur Kirche Sacré-Coeur unternehmen, fügt sich alles ins Bild. Die vielen Künstlerateliers, all die Theater und Varietés, die am Tag frischen Atem für die Nacht holen, das „Café des Deux Moulins“, in dem Amélie ihren Kaffee trank, ja selbst ein Akkordeonspieler, der auf dem Place des Abbesses seine Melodien zum Besten gibt, die angesichts des grauen Himmels ungewollt melancholisch klingen. Den Ruhm des Viertels, das die höchste natürliche Erhebung der Stadt bildet und dessen dörfliche Vergangenheit an den niedrigen Häusern, den restaurierten Mühlen und ein paar verbliebenen Weinbergen abzulesen ist, begründete die außergewöhnliche Ballung weltberühmter Künstler, die sich hier niederließen, um sich in der Ruhe schöpferisch zu entfalten. Und steht man auf einer der steilen Treppen und blickt hinunter auf die Stadt, fühlt man sich hineinversetzt in eines der kitschigen Gemälde, die auf dem Kunstmarkt am Place du Tertre angeboten werden. Mit mehr Touristen vielleicht. Und Selfie-Sticks. (Die in Paris übrigens verboten sind. Offenbar zu viele Unfälle.)

LE MARAIS

Der Marais, das Viertel, das direkt hinter dem von innen wie von außen beeindruckenden Centre Pompidou, auf der anderen Seite der Rue Beaubourg beginnt, wirkt dann so gar nicht wie das Paris aus meiner Fantasie. Vielleicht, weil das historische Zentrum des jüdischen Lebens in Paris der Hausmannschen Neuerungswut widerstanden, sich seine architektonische Ursprünglichkeit bewahrt hat und damit nicht in das Bild der großen Boulevards und dekadenten Parks passen will. Wahrscheinlicher aber, weil in den engen, labyrinthisch sich kreuzenden Gassen sich jüdische Geschäfte und Restaurants mit hippen Cafés und Boutiquen abwechseln, in denen man die Kunst der Franzosen bestaunen kann, jede Banalität mit unverschämtem Stilbewusstsein in ein Kunstwerk zu verwandeln. Unbedarft, wie es einer ist, der zum ersten Mal hierher kommt, flaniere ich durch die Straßen, stecke überall Nase und Kamera hinein und stoße so auf solche Perlen wie das winzige Boot-Café in der Rue du Pont aux Choux oder diese namenlose Buchhandlung in der Rue Pavée, die haufenweise günstige Kunstbücher und Bildbände anbietet.

BIS BALD!

Und dann, am Ende der zwei Tage, gerade als ich auf dem Weg zum Gare du Nord bin, wo der Zug zum Flughafen abfahren soll, stellt sich ein Gefühl ein, das ich allzu gut kenne. Ich hatte mir eingebildet, diese Stadt schon zu kennen, war deshalb nicht am Arc de Triomphe, nicht auf der Champs-Élysées, nicht einmal am Eiffelturm, und trotzdem werde ich von dieser merkwürdigen Unruhe, dieser Unzufriedenheit ergriffen, die sich einstellt, wenn einem bewusst wird, dass man in diesen zwei Tagen nur an der Oberfläche gekratzt hat, nur einen Bruchteil dessen gesehen zu haben, was den oft beschworenen und nun endlich auch von mir geglaubten Zauber von Paris ausmacht. Aber als wie zum Hohn die Sonne den Abendhimmel erhellt und durch das Fenster des Wagons meine Augen blendet, weiß ich, dass nicht wieder 23 Jahre verstreichen werden, bis ich wiederkomme. A bientôt!

KOOPERATION

Die Reise nach Paris fand in Kooperation mit Expedia statt.

Wie ihr 48 Stunden in Paris perfekt ausnutzen könnt, auch wenn es der Himmel nicht so gut mit euch meint, haben wir auf dem Blog von Expedia in allen Details zusammengefasst.

Übernachtet haben wir im wundervollen Terrass‘ Hotel in Montmartre.

Die Gourmet-Tour für Liebhaber französischer Backwaren und Schokoladen ist ebenfalls im Vorfeld bei Expedia zu buchen.

Wir bedanken uns für die wunderbare Zusammenarbeit bei der Organisation dieser Reise!