„Warst du dort schon?“, oder: „Hast du das schon gemacht?“- jedes Mal wenn ich an einen neuen Ort komme, in ein neues Hostel, und neue Leute kennenlerne, gibt es dieses klassische Gespräch: „Wo kommst du her? Wo warst du schon? Wo willst do noch hin? Wie lange bleibst du hier und was machst du hier alles?“. Meistens spreche ich ewig mit Leuten ohne überhaupt ihren Namen zu kennen. Das gehört zum Backpackerleben. Und außerdem kann ich mir Namen sowieso schlecht merken. Diese Gespräche sind meistens sehr inspirativ, es gibt gute Tipps und neue Ideen, und ich lerne jede Menge interessante Leute kennen. Das einzige Problem dabei: Es ist ein Gourmetteller an Leckerli für diese besondere Spezies der inneren Tierwelt, die ich gerade erst aufgespürt habe.
„Das fetteste aller Tiere im Psycho-Zoo ist ohne Zweifel der Schweinehund.“
Innere WHAT? Ja, wir kennen sie doch alle, diese inneren Dämonen: Das Engelchen und das Teufelchen, den Faulpelz, die übermotivierte Gazelle, das verängstigte Häschen oder den sturen, schnaubenden Stier und je nach Lebenslage und Charakter noch viele weitere… Das fetteste aller Tiere im Psycho-Zoo ist ohne Zweifel der Schweinehund. Mit meinem inneren Schweinehund komme ich ziemlich gut aus. Vielleicht, weil mir viele Dinge einfach wurscht sind oder ich mir auch gerne mal was gönne. Aber dieses besondere Gefühl, diese neue Stimme, die mich nicht ruhen lässt, ist eine ganz andere Geschichte. Ich nenne diese Stimme „meinen inneren Unruhehund“. Und der hüpft derzeit wild herum, als ob er sofort zum Gassi gehen raus müsste, allerdings mit der Warnung, dass er gleich auf den Teppich pinkelt. Dieser innere Unruhehund will alles sehen, erleben und wissen, er will „Sachen machen“. Beim Satzanfang: „Warst du schon in…“ fängt er an, aufgeregt mit dem Schwanz zu wedeln und beim Kommentar „krasse Erfahrung“ bellt er, springt aufgeregt in die Luft und schlägt Purzelbäume.
Denn so ziemlich alles, was ich so von meinen Traveller-Kollegen höre, ist megacool. Super. Die geilste Erfahrung ever. And ever ever. „Ach echt, da warst du noch nicht? Eh, da musst du unbedingt hin, das ist der Hammer!“… und so weiter. Doch vor allem möchte ich in der Zeit, in der ich auf dieser Reise bin, so viel wie möglich sehen. Und genau hier ist mein Problem: So viel wie möglich. Da gibt es schon mal die Bucket List, mit der ich auf diese Reise gestartet bin. Und die wird immer länger. „Wenn ich schon mal hier bin, dann könnte ich doch auch noch das und jenes machen! Nur rumliegen und chillen? Das kann ich auch daheim.“ Das Engelchen in meinem Ohr flüstert: „Leni, lass es dir gut gehen, chill mal, genieße deine Reise! Atme tief durch, sauge die Luft und die Atmosphäre des Landes ein. Setze dich in ein Café und schaue den Leuten zu…“ Aber der innere Unruhehund bellt: „Und dann könntest du die Dschungeltour mit einer Amazonasschifffahrt verbinden, und dann kommst du um 8 Uhr abends zurück und fährst um 10 gleich mit dem Nachtbus, damit sparst du dir eine Nacht und bist du viel schneller am nächsten Ort…“ Und er bellt und bellt sich in einen Strudel, der mich unfähig macht zu entscheiden.
„Dabei will ich absolut keine „Been there, done that“-Touristin sein, alles schnell durchmachen, abklappern, damit ich es abhaken kann.“
Ich bin ja prinzipiell eher ein Katzenmensch. Mit Hunden habe ich allerdings auch keine Probleme. (Außer dass ich mal von einem gebissen wurde, als ich 5 war. Genau am Mund. Und als ich ins Krankenhaus gefahren wurde, habe ich wohl dauernd „Bitte küsse mich noch einmal“ von den Kastelruther Spatzen gesungen… Aber das ist ein andere Geschichte). Diese Sorte Hund hier ist jedenfalls einfach verwirrend. Kein großer, böser, bissiger Köter. Eher eine kläffende zappelige Döhle mit enormem Bewegungsdrang. Ich bin unfreiwillig zum Dog Walker geworden. Und damit meine ich nicht, dass ich die Leine führe und das Hündchen an meiner Seite laufen. Vielmehr fühlt sich so an, als würde dieser innere Unruhehund mit Superkräften vorauseilen und mich an der Leine, mit dem Gesicht im Schlamm, hinterherziehen. Ich versuche einfach, die Augen offenzuhalten, um zu sehen wo es hingeht. Dabei will ich absolut keine „Been there, done that“-Touristin sein, alles schnell durchmachen, abklappern, damit ich es abhaken kann (und natürlich ein gutes Foto davon auf Instagram und Co. posten kann).
Ich packe meinen Koffer Rucksack und nehme mit…
Als ich meinen Rucksack gepackt habe, habe ich nur das Nötigste mitgenommen. Für mich als Backpacking- Anfängerin war es ein kompliziertes Unterfangen, meinen Rucksack für eine mehrmonatige Reise zu packen. Ich habe unzählige Packinglisten verglichen und mich strikt an Empfehlungen gehalten. Einige Dinge hat mittlerweile der Wäscheservice geschluckt, einiges wurde in Hotels gestohlen (Ohrrringe, T-Shirts, und sogar ein BH…), und einiges hätte ich daheimlassen können (Spielkarten. Ein Seil. Wäscheklammern), aber prinzipiell bin ich mit dem Inhalt meines Rucksacks zufrieden.
„Pukkanakka bedeutet im Südtiroler Dialekt etwas schultern, am Rücken tragen, und genau deshalb fand ich dieses Dialektwort so passend für diese Reise.“
Doch nicht für alles gibt es Checklisten. Diese Reise ist mein „Pukkanakka Project“; meine erste große Backpacking-Reise. Pukkanakka bedeutet im Südtiroler Dialekt etwas schultern, am Rücken tragen, und genau deshalb fand ich dieses Dialektwort so passend für diese Reise. Neben den 15 Kilo, die ich in meinem Rucksack von daheim mitgebracht habe, schleppe ich auch meinen unsichtbaren Rucksack mit: Meine Träume und Wünsche, meine Vorstellungen und Erwartungen, meine Leidenschaften und Laster. Wer ich war, wer ich bin, und wer ich sein will. Ich bin überzeugt, dass man auf einer Reise viel lernen kann. Über Orte, Länder. Von anderen Menschen. Und auch über sich selbst. Alle paar Tage an einem anderen Ort- da kann ich viele verschiedene Marlenes zeigen. Und ich habe natürlich auch viel Zeit, um über das Leben im Allgemeinen und mich selber im Speziellen nachzudenken. Nein, ich bin eigentlich auf keinem Selbstfindungstrip. Aber jeder der ab und zu alleine reist, wird mir zustimmen: Alleine Reisen ist immer auch gut für ein gewisses Maß an Psychohygiene. Ich mag das. Und was ich besonders mag: Wenn ich mich selber überrasche. Oder über mich selber schockiert bin. Und ganz ehrlich: Ich bin ziemlich schockiert darüber, dass ich meinen inneren Unruhehund auf diese Reise mitgebracht habe. Der stand auf keiner Liste.
Es ist so: Ich war noch nie auf einem Cluburlaub. Ich war noch nie fischen. Ich finde joggen langweilig. Ich weiß, dass ich nach einem Tag am Strand zappelig werde. Mir ist klar, dass ich den totalen Müßiggang nur für eine kurze Zeit aushalte. Mein letzter Job war ziemlich stressig- und wenn ich ehrlich bin, mag ich ein gewisses Maß an Stress auch ganz gerne (ja genau, die übermotivierte Gazelle grüßt…). Ich bin unter Druck effizienter und kreativer. Aber ich brauche den Ausgleich. Denn ich bin auch eine Genießerin, jemand der mit sich selber nicht besonders streng ist (happy innerer Schweinehund), sondern gerne stundenlang quatscht oder bei einem Essen sitzt (happy innerer Faulpelz), und am liebsten beides kombiniert (happy inneres Gourmetschwein).
Diese Reise soll eine Auszeit sein, die nur mir selbst gehört. Ich will meine Batterien aufladen, die Sachen langsam angehen. Ich sage es mir immer wieder vor: Ich bin auf einer Reise, von der ich schon so lange geträumt habe. Ich habe im Grunde alle Zeit der Welt um diese Welt zu erkunden. Ich kann mich einfach in die Hängematte legen und drei Tage lang schlafen, wenn mir danach ist. Leider schaffe ich das nicht. Ich schaffe es nicht, Ruhe zu geben. Und meinen hyperaktiven inneren Unruhehund auszuschalten. Ich bin in meiner Auszeit gestresst. Gestresst davon, was ich alles noch erleben will, welche Länder ich noch sehen muss, kann, will. Nein, niemand stresst mich- ich stresse mich selber mit diesem Erlebnisdrang. Mit all den Möglichkeiten und Angeboten. Klar, Unterhaltung und Erlebnisse sind die zentralen Elemente dieser Reise. Aber ich mache mich selber fertig damit. Oh Gott, bin ich ein Opfer der Erlebniskultur?
„Vielleicht war diese innere Stimme schon vor dieser Reise da, aber bleib brav in seinem Körbchen.“
Es gibt ihn, den Reise-Burnout. Dahin will ich nicht, eh klar. Nur frage ich mich: Wenn die Überwindung des inneren Schweinehunds Selbstdisziplin ist, wie überwinde ich diesen inneren Unruhehund? Yoga? Autogenes Training? Ein Besuch beim Schamanen? Oder noch mehr von diesen Sprüchen wie „Lebe jeden Tag so, als wäre es dein letzter“, die immer wieder irgendwo an der Wand eines Büros oder Cafés kleben und schon so ausgeleiert sind, dass mir jedes Mal das Kotzen kommt. Eigentlich müsste ich mir jetzt genau diese Sätze ins Gesicht klatschen, in die Haut einbrennen. Lieber ein Burn in als ein Burn out.
Es lässt mir keine Ruhe- und deshalb bin ich mit mir selber im Clinch. Mein unsichtbarer Rucksack wiegt mehr als ich dachte. Und ich bin über mich selbst erstaunt, dass ich dieses Stressviech nicht in die Ecke schicken kann, zum „Platz“ machen, oder sogar in einen Zwinger zu stecken (sorry, Tierfreunde). Vielleicht war diese innere Stimme schon vor dieser Reise da, aber bleib brav in seinem Körbchen. Oder ich hatte einfach so viel zu tun, dass das Hündchen immer zufrieden war. Jetzt, auf dieser Reise, habe ich diese Unruhe aber erstmal so richtig gefühlt. Und es kostet mich viel Mühe, damit umzugehen. Sobald ich mich auf die Couch lege oder in ein Café setze und mir vornehme, mal nichts zu tun –und auch nichts zu planen-, pieselt mir mein innerer Unruhehund ans Bein. Und will Gassi gehen. Und was mache ich? Ich hole die Leine und wir gehen los.