„Wir sind jetzt sechs Kilometer vor der syrischen Grenze“- so Ali, ein Mann um die 60, vielleicht auch älter. Acht Tage wird er uns durchs Land fahren. Das ist sein Job, den macht er gerne. Jordanien ist sein Land, Amman seine Heimat. Sätze wie eben sagt er so, weil es für ihn alltäglich ist, am Scheitelpunkt zu leben. Am Scheitelpunkt im Krisengebiet. Wir schreiben den 26. Dezember 2016. Vor etwas mehr als 48 Stunden bin ich in Amman gelandet. Alles steht noch auf Anfang, doch mein Herz, es hämmert, hart und heftig. Für mich – so viel steht fest – ist hier noch nichts normal.

Klar bin ich informiert, ich weiß, wo ich bin – doch was hier passiert ist anders. Anders wie sonst auf Reisen. Bisher weiß ich nur eins: Mit Ali fing es an und mit Ali wird es aufhören. Am Flughafen hatte er uns empfangen und genau dort wird uns in acht Tagen auch wieder absetzen. „Einst …“, erzählte er, „… war ich für vier Monate in Berlin als Pizzabäcker beschäftigt“, deshalb spricht er unsere Sprache und fährt vornehmlich Deutsche durchs Land.

Ich mochte ihn von Anfang an, vor allem wie er „schön“ sagte. Er konnte das ö nicht so recht aussprechen und sagte immer „scheene Land“ oder „scheene Ausblick“, mit seiner rauchigen Stimme. Er trug jeden Tag den gleichen Anzug, wo er schlief, wussten wir nie. Und er rauchte. Er rauchte und rauchte. „Zigaretten sind hier das Billigste, nur ein Euro die Schachtel. Alle rauchen!“ Ansonsten redete er nicht viel, nur ab und zu. Er war der perfekte Guide. Wenn man fragte, wusste er die Antwort, wichtige Highlights nannte er früh und nach 10 Jahren auf Tour, kannte er sie alle – die Hirten, die Hotelbesitzer, die Ticketverkäufer. Mit Ali war ich – sprechen wir es doch einfach aus – mit Ali war ich sicher.

Am liebsten würde ich jetzt in Tränen ausbrechen. Vor Freunde, vor Stolz, vor Glück. Doch auch vor Wut. Um vollkommen ehrlich zu sein: Mir ging dieser Tage so einiges durch den Kopf. Kurzweilig wollte ich gar stornieren, wollte kein Tourist sein, so nah an dem, was alle fürchten. Ich wollte nicht Gefahr laufen, Gefahr zu laufen. Ich wollte so vieles nicht, hab so vieles gehört und zu viel zugehört. Das war ein Fehler, ein großer! Denn jetzt, in diesem Moment, wird mir nicht nur bewusst, dass ich all das verpasst hätte, vielmehr erschlägt mich die Tatsache, dass mich blanke Angst dazu bewegte, nicht mehr der inneren Stimme zu folgen.

Ja, da hinten ist Syrien. Das ist korrekt. Richtig ist auch, dass dort Schreckliches geschieht. Auch Angst ist menschlich. Nur eins sollten wir nicht vergessen: „Syrien existiert, egal wie weit wir uns entfernen!“ Ein Moment, ein Bruchteil meines Lebens und ein Satz, den ich niemals vergessen werde. Syrien ist nicht nur ein Nachbarstaat von Jordanien, die Menschen dort, sie sind unser aller Nachbarn. Eine Erkenntnis, die eigentlich keine ist und die man doch erst versteht, wenn Syrien kein Land mehr ist, was man einfach wegklicken kann.

Ich kann wahrlich nur schwer beschreiben, wie froh ich bin hier zu sein. Nicht weil ich der große Abenteurer sein will, nicht weil ich etwas beweisen muss, sondern weil ich in Jordanien etwas lerne, was mir in Deutschland bislang unmöglich erschien: loszulassen. Von vielem – doch vor allem von der Angst, der Angst des Terrors. Warum? Weil ich gar nicht anders kann, weil alles vor meinen Augen passiert, weil nichts weit weg ist, weil der Bildschirm heute weiterläuft und niemand ihn abschaltet, weil ich hier und nur hier Teil des Ganzen bin.

Wir sind nach wie vor am Anfang meiner Tour, doch hat sich ihr Sinn längst erfüllt. „Scheen, dass ihr hier seid. Es wird euch gefallen!“ – sagt Ali, klopft mir auf die Schulter und meint, dass wir weiter müssen. Ich denke nur: „Oh man Ali, du hast so verdammt recht.“ Hello magical Jordan, nice to finally meet you!

Freunde, egal wie sehr ich diese Worte hin und her schiebe, ich kann euch eure Angst nicht nehmen. Ich kann euch auch nicht sagen, dass alles sicher ist. Ich kann euch nur bitten genauer hinzuschauen. Jordanien war und ist ein Land, in das man reisen kann. Ja, mit Einschränkungen, das ist bekannt – doch sollten diese nicht davon abhalten, die Magie einzigartiger Orte selbst zu erleben. Fakt ist: Der Tourismus im Land ist in den letzten drei Jahren drastisch zurückgegangen, obwohl Auswärtiges Amt und Reiseverband keine akuten Gefahren zur Einreise melden. Allerorts schließen Hotels und Restaurants – Buchungen sinken, Tausende verlieren ihre Arbeit.

Doch die bittere Wahrheit, sie sitzt viel tiefer: Jordanien ist nur eins von vielen Ländern, das der globalen Hetzjagd aus Terror und Angst zum Opfer fällt. Unwissenheit und Furcht entzweien nicht nur die Menschen, sondern unlängst ganze Kulturen. Aus Unkenntnis wird Stigma, aus Stigma Intoleranz. Sätze wie: „Das ist mir nicht geheuer dort!“ oder „Pass bloß auf!“ fallen eigentlich ständig, doch fragt man warum, weiß keiner die Antwort.

Nein, ich bitte euch nicht ohnmächtig durch die Welt zu jagen – gewiss nicht. Achtet auf euch und andere. Vertraut den Fakten, stellt viele Fragen, doch vor allem: Lasst euch nicht überrollen. Zu Reisen bedeutet in erster Linie zu vertrauen: Vertrauen in die Sicherheit, die Medien, die Informationen, die uns gegeben werden. Doch vor allem vertraut auf euch selbst. Unsere Welt ist ein Ort, den man bereisen sollte und keiner vor dem man sich verstecken muss.

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