PROLOG

Nach knapp 24 Stunden, 3 Flügen, 4 Sicherheitskontrollen und dem 5. Blockbuster ist es endlich soweit. In einem leicht verworrenen Englisch gibt die Cabin Crew bekannt, dass wir in wenigen Minuten unser finales Reiseziel erreichen, während zwei Stewardessen durch den Flieger flitzen und die Sonnenblenden öffnen, die noch wenige Minuten zuvor dazu dienten, allen Reisenden eine Mütze Schlaf zu gönnen.

Leicht gejetlagged wage auch ich 6 Uhr morgens den Blick aus dem Fenster, während sich die nordthailändische Metropole Chiang Mai allmählich in den Blick der Passagiere schiebt. Auch die Provinzstadt knapp zwei Stunden nördlich von Bangkok scheint noch in tiefsten Schlaf gehüllt: Leichter Dunst zieht allmählich über die umliegenden dichtgrünen Berge, während die Maschine gegen die leichte Gewitterluft kämpft, die bereits frühmorgens über der Stadt liegt. Wenige Minuten und einige Turbulenzen später ist es soweit. Touchdown – inmitten von Chiang Mai.

Ich bin aufgeregt, greife mein Handgepäck so schnell ich nur kann und renne der feuchtschwülen Luft entgegen, die erstmalig in den Flieger strömt, als die Besatzung die Tür zum Gate öffnet. Es erschlägt mich, habe ich doch nur knapp 24 Stunden zuvor erst Berlin mit seinen herbstlich kühlen 8 Grad Celsius verlassen, umgeben mich nun bereits knapp heiße 30 Grad bei einer Luftfeuchtigkeit, die hier nur selten unter die 90%-Marke zu purzeln scheint.

EIN TAG IM OASIS SPA - SO MUSS ES SICH ANFÜHLEN, NEU GEBOREN ZU WERDEN

Am Flughafen angekommen, rennt uns unser wirklich herzlicher Tourguide Tami direkt in die Arme. Sie strotzt nur so von Energie und Elan, während meine Mitreisenden Vanessa (Travelettes), Katharina, Romeo (Reisedepeschen & Sommertage) und natürlich auch ich noch mit dem nicht vorhandenen Schlaf zu kämpfen haben. Tami, die uns bereits zu Beginn mit ihrem wirklich ausgesprochen guten Deutsch und Humor überrascht, weiß zu diesem Zeitpunkt jedoch besser als wir, was wir brauchen und führt uns nach kurzem Zwischenstopp im Dusit Princess direkt zum Spa, in dem wir die kommenden Stunden eine typische Lanna Thai Massage bekommen werden. Eine Massage die, wie sich später herausstellte, bei niemanden von uns so schnell in Vergessenheit geraten wird.

Nur einen Tee und einen Fragebogen zur körperlichen und seelischen Verfassung später lande ich auch schon auf dem Massagetisch, auf dem mich meine Masseurin mit äußerster Vorsicht drapiert, während sich vor dem geöffneten Fenster in einem kräftigen Platzregen die Gewitterwolken entladen, die ich bereits schon mit skeptischem Blick aus dem Flugzeug aufziehen sah. Absolute Stille, da ist nichts: Nur ich, meine Masseurin Araya und die allmählich langsamer auf dem Boden prasselnden Regentropfen, dessen Takt gut und gerne den Eindruck erwecken, mit den Handgriffen meiner Masseurin eins zu werden. Der anfängliche Schmerz auf meiner rechten Rückenseite wird gekonnt in die Vergessenheit geschoben und wenige Sekunden später ist es auch soweit: Meine Augenlieder senken sich, mein Herzschlag pendelt sich weit unter meinem üblichen Niveau ein und ich bemerke nicht einmal, dass ich bereits in den Schlaf sinke.

Knapp zwei Stunden später werde ich beim Geruch eines Sommerregens wach und Araya bedankt sich mit zwei geschlossenen Handflächen für mein Vertrauen und die ihr entgegengebrachte Geduld. Noch viel zu überrascht versäume ich, meiner Masseurin zu danken, während ich erst wenige Minuten später merke, was ich in den letzten Jahren wohl so dringend gebraucht habe.

EIN TEMPEL FÜR JEDEN TAG DES JAHRES

Der Starkregen der letzten Stunden hat Chiang Mai schon längst den Rücken gekehrt, als wir die Oasis Spa förmlich neu geboren verließen, um die Sehenswürdigkeiten der Region erstmals unter die Lupe zu nehmen. Mit weit geöffnetem Fenster schlängelt sich unser Van die Straßen – knapp 15 Kilometer westlich der Altstadt liegend – den Doi-Suthen-Bergen und dem angrenzenden Nationalpark auf knapp 1000 Meter über Null hinauf.

Während sich neben uns viele Scooter den Weg hoch zum sagenumwobenen Wat Phrathat Doi Suthep kämpfen, öffnet sich zwischen dicht verwachsenen Baumkronen erstmals der Blick auf die im Tal liegende Stadt und verspricht am Kamm des Berges einen Ausblick, der alle Mühen der letzten Stunden im Nichts verschwinden lassen würde. Plötzlich öffnet sich das Dickicht. Vor uns, eine Treppe, die über knapp 200 Stufen hoch zum wohl schönsten Tempel der Stadt führt und trotzt der erneut schwülen Nachmittagshitze das erste Highlight verspricht.

Nicht nur, weil der Wat Phrathat Doi Suthep auch als einer der schönsten Tempel des Landes gilt, sondern vor allem durch dessen besondere Geschichte auch für die einheimischen Thais bis heute eine herausragende Bedeutung hat: Denn, wenn man der Geschichte des über 600 Jahre alten Tempels glauben schenkt, befindet sich im Inneren der markanten und vergoldeten Chedi noch heute eine Reliquie des Buddha. Sprachlos halte ich nicht nur vor dem vergoldeten Monument inne, sondern überblicke ebenso begeistert das gerade in der Regenzeit in tausend Grüntonen strahlende Tal Mae Nam Ping, das sich nur wenige Meter entfernt von einem Aussichtspunkt in einem einzigartigen Panorama überblicken lässt, wie von keinem anderen Ort.

Der im Tal und auf dem Rückweg zur Innenstadt liegende Wat Phra Singh schillert kaum weniger und weiß sogar den Wat Phrathat Doi Suthep in seiner königlichen Klasse 2 zu überbieten, da dieser tatsächlich von einem einstigen König erbaut wurde. Auch der im westlichen Zentrum der Altstadt von Chiang Mai erbaute Tempel, dessen Hauptportal von einem steinernen Löwen geziert wird, wirft neben blanker Hochachtung Fragen zu einer Geschichte auf, über die die meisten Menschen wahrscheinlich nur zu wenig wissen.
Zwar wird unser eins der enormen religiösen Bedeutung dieser imposanten Bauwerke mit jedem Tempel einmal mehr deutlich, doch verirre ich mich in den Fragen zu geschichtlichen Hintergründen der noch immer strahlenden Kultur in zu vielen Details, die ich spätestens beim nächsten der vierhundert Tempel der Region ohnehin wieder vergessen würde. Was am Ende des Tages übrig bleibt, ist viel mehr als das blanke Verständnis für andere Religionen und Kulturen, und ja, auch viel mehr als die reine Anziehungskraft, die diese zwei Tempel auf mich haben – es ist viel mehr die traurige Gewissheit, nicht alles über die Lanna-Kultur in der Kürze der Zeit erfahren zu können, wie ich es gerne würde.

TASTE OF THE NORTH - AUF DER STRASSE IST ES SICH AM BESTEN

Dass der Begriff Kultur in weiten Teilen der Welt und natürlich auch im Norden Thailands den Begriff Kulinarik mit sich trägt, ist kein Geheimnis. Umso mehr freute ich mich, mich mit Begeisterung bei gleichzeitiger Vorsicht an die Essenskultur der Nordthailänder zu wagen, die sich, wie sich erst im Nachhinein feststellen ließ, doch maßgeblich zu der Food-Kultur in anderen Teilen des Landes unterscheidet. Keine Frage, ich bin und war noch nie der einfachste Esser. Vor allem, wenn es um fremde Kulturen geht, senken sich meine kulinarischen Scheuklappen meist noch bevor das eigentliche Essen auf einem Tisch steht, welcher in Thailand nicht zu selten bei 35° Celsius im prallen Sonnenschein gedeckt wird.

Sagte ich äußerste Vorsicht? Diesmal nicht. Bereits zu Beginn der Chiang Mai Food Tour beschloss ich, jene Scheuklappen im Hotel zu lassen, mich auf Speisen und Getränke einzulassen, die ich womöglich noch nicht kenne und beginne den Tag ganz im Zeichen von „Taste of the North“ durch die alten Straßen des historischen Stadtzentrum Chiang Mais. Unser Tourguide weiß um die versteckten und noch geheimen Ecken der Stadt und führt uns nicht schnellstmöglich durch die verwinkelten Gassen zum ersten Restaurant, bei dem eigentlich nur Einheimische dinieren, sondern serviert uns bereits 11.30 Uhr morgens die beste nordthailändische Wurst, die es Weit und Breit zu geben scheint.

Ich bin angetan, streife nun tatsächlich jegliche Scheu von mir ab und greife erneut mit der bloßen Hand in das Schälchen, in dem die Wurst neben einer gehörigen Portion Reis serviert wird. Über einige Umwege vorbei an historisch wertvollen Plätzchen der Stadt führt der Weg auch direkt in das nächste Restaurant, das sich auf das thailändische Traditionsgericht Khao Soi spezialisiert hat und dessen Weizennudeln im würzigen Kokosnuss-Curry sich später noch zu meiner neuen Leibspeise herausstellen würden.

Es wundert kaum, dass der Thai nach einem so würzigen Gericht gerne zu einer gehörigen Portion Zucker greift und natürlich weiß unser Tourguide auch, wo wir diese Ladung Zucker bekommen würden, bevor wir zu unserem letzten und größten Gang des Tages starten würden: Auf dem Weg in des letzten Restaurant des Tages geht es vorbei an den belebten Straßen der Innenstadt, in denen süße Gerichte direkt nebst Herzhaftem und Außergewöhnlichem zubereitet wird. Wie gerufen liegt glücklicherweise der mittlerweile einzige Stand auf dem Weg, der nicht nur als einziger und letzter Stand weit und breit Kokoseis anbietet, sondern gleichzeitig für die Erfrischung sorgt, die man bei Temperaturen über 35° Grad Celsius und 90%-iger Luftfeuchtigkeit auch sehnsüchtig erwartet.

Das Highlight der Food-Tour winkt, wie soll es anders auch sein, natürlich am Ende der Tour, bei der wir in tausend kleinen Häppchen noch einmal alle Variationen und Gerichte der typisch nordthailändischen Küche serviert bekommen, obwohl unsere Mägen bereits mit dem Kapazitätsmaximum kämpfen: zu Kugeln geformter Kelbrei, Kaau Nieau, Pad Thai, Pad Kra Pao und natürlich das zuvor kennen- und lieben gelernte Khai Soi, welches nicht ohne Grund auch als „Chiang Mai Nudeln“ bezeichnet wird, landet ebenso auf dem Tisch wie Pilze der Region, grünem und roten Curry.

Überfüllt aber glücklich rollen wir nach dreistündiger Food-Tour durch die kulinarischen Highlights der Region aus dem Restaurant, können aber spitzer Zunge behaupten, dass sich ein kulinarischer Rundgang mindestens ebenso lohnt, wie eine Sightseeing-Tour durch einem der vierhundert Tempel der nordthailändischen Region.

AUF DER SUCHE NACH DEM LÄNGSTEN POOL DER STADT

Die Foodie-Tour durch Chiang Mai hinterlässt pure Erschöpfung, umso mehr freut es mich, den Nachmittag auf der Sonnenliege unter schattenspendenen Palmen zu verbringen, die irgendwo dicht zwischen dem längsten Pool der Stadt im wachsen. Ein Blick in die prächtig verzierte Freiluft-Lobby des Hotels genügt, um zu erahnen, welcher beeindruckende Schatz von Hotel sich nur wenige Meter hinter der Lobby offenbart. Ein türkisblauer, nicht zu enden scheinender Pool, der sich direkt vom Balkon des Zimmer erreichen lässt und am Ende sogar eine Bar ziert, von der das Personal den eiskalten frischgepressten Saft direkt ins Wasser reicht.

Wenn ich das Paradies bis dahin noch nicht gefunden habe, war ich zu diesem Zeitpunkt mittendrin. Also streife ich die klamme Kleidung von mir, tausche die Jeans gegen eine Badehose, meine Schuhe gegen meine Birkies und begebe mich auf direktem Weg zum Pool, von dem ich die strahlende Sonne hinter den liebevoll verzierten Häuschen des Hotels blutrot versinken sehe. Was will ich mehr? Ja, was will man eigentlich mehr?

DER LUXUS DER EINFACHHEIT - ZU GAST BEI DEN LISU

Luxus bedeutet für die einen ein schönes Hotel mit Pool vor der Tür, gutes Essen und ein großzügiges Bett. Dann gibt es wiederum andere: Für sie bedeutet Luxus vielleicht die pure Einfachheit. Für mich schließt sich beides nicht aus. Das wurde mir am Folgetag einmal mehr bewusster denn je.

Bereits in den frühen Morgenstunden verlassen wir das Khum Phaya und nehmen die knapp einstündige Fahrt in die nördliche Region von Chiang Mai auf uns, um den Stamm der Lisu, einer der 55 offiziell anerkannten Minderheiten der Volksrepublik China, zu besuchen, die in den tropischen Wäldern Nordthailands ebenso beheimatet sind, wie in China oder Myanmar.

Vorbei an Elefanten-Aufzuchtstationen, saftig grünenden Reisfeldern und Plantagen führt unser Weg auf einer immer schmaler werdenden Straße in das tiefste Dickicht. Hier, nördlich von Chiang Mai, leben die Lisu meist unter einfachsten Bedingungen völlig autark und scheinen sich doch über jeden Besuch von außerhalb herzlich zu freuen. In der sogenannten Lisu  treffen wir auf ein im Dorf lebendes Mädchen, das uns voller Begeisterung durch ihre Ortschaft führt, uns mit den Familien des Dorfes und nicht zuletzt auch mit dem Scharmanen des Stammes bekannt macht und kurzerhand zu einem selbstgebrannten Reisschnaps in dessen Haus einlädt.

Die Besitzer der Lisu Lodge helfen nicht nur dem Stamm beim Verkauf eigens produzierter Waren, sondern ermöglichen Besuchern von außerhalb, auch einen Einblick in das Leben der Naturreligion zu gewinnen und bieten Übernachtungsmöglichkeiten in den auf Stelzen gebauten Holzhütten an, die nur über das Wichtigste verfügen.

IT'S TIME FOR A TEA

Leider neigt sich nicht nur dieser Tag dem Ende, sondern auch unsere Zeit in der Blume des Nordens. Kein Grund, den kurzen Abstecher auf die Teeplantage „Araksa“ nicht zu machen, die tatsächlich die letzte Teeplantage Thailands ist, welche den köstlichen grünen, schwarzen und weißen Tee noch in reiner Handarbeit produziert.

Charlie, ein herzlicher Thai mit einem gewissen Humor, führt uns über die im Dickicht platzierte Plantage, führt uns in den langwierigen Prozess der Teeproduktion ein und beweist, was für mich einmal mehr viel wichtiger scheint, nämlich welch herzliche und aufrichtige Gastgeber die Thais für uns die letzten drei Tage waren. Es mag sein, dass die Region aufgrund der Schönheit als Rose des Nordens bezeichnet wird, doch ist es mir nun ein Leichtes, die Menschen hier gut und gerne als „Rosen des Nordens“ zu bezeichnen.