PROLOG
Jede Reise beginnt für mich in dem Moment, da das Flugzeug durch die Wolken bricht und zum ersten Mal den Blick freigibt auf das, was vorher nur in meiner Vorstellung vage umrissen war. Im Anflug auf den Flughafen Tocumen in Panama Stadt legt sich der Flieger in eine scharfe Rechtskurve über den Pazifik, wo die Schiffe akkurat gereiht auf ihre Einfahrt in den Kanal warten, während der Horizont hinter den matten Umrissen hoch aufragender Häuserfronten im Dunst des Abends versinkt und der Wind durch die Mangrovenwälder entlang der Uferlinie bläst. Dann klappt das Fahrwerk aus, die Maschine segelt noch ein paar Augenblicke über eine von der untergehenden Sonne rot gefärbte Steppe und setzt nach 11 Stunden in der Luft auf. Draußen hat es 35 Grad. Willkommen in Panama.
WER DEN KANAL NICHT GESEHEN HAT, HAT PANAMA NICHT GESEHEN
Sagen die Panamaer. Womit wäre ein Reisebericht über Panama also zu beginnen, wenn nicht mit jener 82 Kilometer langen Wasserstraße, die das Land an seiner engsten Stelle zwischen Panama-Stadt und Colón durchschneidet, den Atlantik mit dem Pazifik verbindet und die Lebensader symbolisiert, mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Landes untrennbar verknüpft sind.
300 000 bis 500 000 Dollar müssen die Reedereien bezahlen, damit ihre Frachter und Kreuzfahrtriesen passieren dürfen. Das klingt viel, angesichts der Tatsache aber, dass sich die Schiffe damit den weiten Weg um das Kap Hoorn an der Südspitze Südamerikas sparen, nehmen sie diese Gebühren bereitwillig auf sich und sorgen so für rege Betriebsamkeit: Über 15 000 Schiffe durchqueren den Kanal jedes Jahr.
Meine erste Begegnung mit dem Kanal ist weniger kostspielig. An einem Bootsanleger in einer kleinen Bucht etwas außerhalb der Stadt steigen wir in eines dieser schmalen, länglichen Schnellboote, die wirken, als würden sie augenblicklich mit Wasser volllaufen und brausen los. Ich stecke kurz die Hand in die aufspritzende Gischt und prüfe mit der Zunge: süß – und ein bisschen ölig. Das liegt zum einen an den drei Schleusen und zum anderen an dem künstlich angelegten Gatun-See, der den Kanal mit Süßwasser speist.
Mittlerweile sind die Temperaturen auf über 30 Grad geklettert, die Luftfeuchtigkeit ist drückend. Wir fahren vorbei an altmodischen Werften mit rostigen Verladekränen, bunt angestrichenen Flussdampfern und Ausflugsschiffen, an farbigen Leuchtbojen, die die Fahrrinne markieren, an beiden Uferseiten flankiert von wild wuchernden, saftig grünen Nationalparks und ich bilde mir ein, dass all dem jene Nostalgie anhängt, umflort vom Mythos der Pioniere, die man vielleicht von Fitzcarraldo kennt. Auch die Frachter, denen wir begegnen, scheinen neben den dicht gestapelten Containertürmen an Deck auch noch etwas anderes zu transportieren: Die Verheißung von Ferne.
Das Boot pflügt noch keine zehn Minuten durch das mattgrüne Wasser, da erspähen wir – oder besser unser Bootsführer – das erste Krokodil, das auf einer Sandbank rastet. Wir biegen in einen Seitenarm ab und steuern geradewegs auf eine unscheinbare, vollständig bewachsene Insel zu. Der Guide stößt einige irritierende Laute aus, die wohl Lockrufe sein sollen und im nächsten Moment erscheint ein Kapuzineräffchen in den Verzweigungen der nahen Bäume und verlangt Entlohnung für seine Folgsamkeit. Ein Greifvogel flattert auf und gleichzeitig treibt im Wasser eine ganze Kita winziger Baby-Krokodile ganz dicht am Boot vorbei. Cuteness overload.
Es scheint unglaublich: Inmitten dieses vielbefahrenen Wunders menschlicher Ingenieurskunst haben sich die Tiere ihre Lebensräume erhalten und arrangieren sich offenbar problemlos mit den Stahlriesen, die hier Tag für Tag vorbeikommen. Der Kanal lebt – in jeder Hinsicht.
WIR SIND HIER NICHT IN MIAMI...
Ich stehe auf der Dachterrasse des schmucken Tántalo-Hotels in der Altstadt von Panama-Stadt und blicke auf die andere Seite der Bucht. Die Sonne ist gerade untergegangen und als hätte jemand einen geheimen Zentralschalter bedient, beginnt das große Glitzern und Funkeln.
Dank der Transitgebühren des Kanals, die den Staatshaushalt jährlich mit etwa einer Milliarde Dollar füttern, ist hier nämlich innerhalb eines Jahrzehnts eine eindrucksvolle Skyline aus dem Boden gewachsen, die tagsüber verheißungsvoll im grellen Licht der Sonne glänzt und mit all den Luxushotels, Kongresszentren, Kasinos und Shoppingmalls vom Aufstieg des Landes zum zentralamerikanischen Banken- und Handelszentrum kündet.
Schon bei meiner Ankunft, während der Fahrt vom Flughafen zum Hotel, als ich mir staunend den Hals verrenkte, um die vielstöckigen Wohnblöcke zu sehen, die links und rechts der Stadtautobahn wie Palmen in die Höhe ragten, habe ich mich kurz gefragt, ob ich nicht versehentlich in Miami gelandet war. Das hatte ich nicht erwartet.
Doch ich merke schon: Diese Stadt versteht es, mit den Erwartungen ihrer Besucher zu spielen. Denn das Casco Viejo, das Altstadtviertel, wo sich auch das Hotel Tántalo mit seiner Dachterrasse befindet, empfängt uns mit dem größtmöglichen Kontrast. Häuser mit mehr als drei Stockwerken gibt es nicht, die Fronten tragen leuchtend bunt und wenn die Sonne tief steht, färbt sich das Licht in den engen Gassen mit den hohen Gehsteigen golden.
Wir beginnen unseren Streifzug an der Plaza Tomás Herrera, wo sich viele Einheimische unter die schattenspendenden Fittiche der immergrünen Bäume geflüchtet haben und vor sich hin dösen. Einladender Gedanke, doch der unerschrockene Tourist kennt keinen Schmerz. Das ganze Viertel erstreckt sich lediglich über eine Handvoll Häuserblocks auf einer Landzunge und ist daher leicht zu Fuß zu erkunden.
Schon nach ein paar Schritten fällt mir auf, dass neben den wundervoll restaurierten Kolonialbauten und den unscheinbar in die Häuserfolge eingebetteten Kirchen, auch das Unfertige hier seine Daseinsberechtigung hat. Manche Fassaden neigen sich so weit in die Straßen hinein, dass sie von metallenen Stützen vor dem Einsturz bewahrt werden müssen, in Hinterhöfen prangen Murals von den Wänden und die zugemauerten Eingänge der noch unrenovierten Häuser sind mit poetischen Plädoyers für die Hinwendung zur Realität besprüht. Klar, dass sich Kunstgalerien, Theater, Restaurants und hippe Bars in dieser Atmosphäre wohlfühlen und die Altstadt dadurch eben nicht nur einem schmucken Freilichtmuseum kolonialer Baukunst gleicht, sondern mit tanzendem Herzschlag belebt wird.
Der Weg führt über die Plaza Francia mit der ausnehmend hübschen französischen Botschaft zum Paseo de Las Bóvedas, die Küstenpromenade mit der wunderbaren Sicht auf die Skyline, wo Straßenhändler die obligatorischen Panama-Hüte und anderes Kunsthandwerk anbieten, während der Pazifik sanft an die Mauer brandet, und endet an der Plaza Bolívar. Hier in der Nähe liegt auch der Präsidentenpalast, doch pflichtbewusste Uniformierte sorgen dafür, dass wir lediglich dessen Zufahrt zu Gesicht bekommen.
Was bleibt mir jetzt über Panama-Stadt zu sagen? Auf der einen Seite wirkt die Stadt wie ein beflissener Zögling des us-amerikanischen Einflusses, der hier bis vor nicht allzu langer Zeit waltete, auf der anderen Seite gibt das Casco Viejo mit seiner Ästhetik des Unperfekten ihren kulturellen Puls vor. Verbunden aber sind beide durch ein Gefühl, das sie bei mir hinterlassen haben: Diese Metropole strebt mit zwei Herzen in die Zukunft.
EINE SEILBAHN INS HERZ DES REGENWALDES
Dort, wo die Stadt aufhört, beginnt der Regenwald. Nur eine knappe halbe Stunde dauert es aus dem Zentrum – die Straße führt an der östlichen Seite des Kanals entlang – bis zum Eingang des Soberanía Nationalparks. Doch wir fahren weiter. Unser Ziel heißt Gamboa.
Nur über eine einspurige, altgediente Stahl-Holz-Brücke zu erreichen, ist Gamboa eine von nur einer Handvoll permanenter Siedlungen am Panama-Kanal, die gebaut wurden, um die Arbeiter der Betreibergesellschaft und ihre Angehörigen unterzubringen. An der Stelle, wo der Rio Chagres den Gatun-See speist, drücken sich Häuser ins üppige Grün des tropischen Regenwalds, die mit ihren breiten Holzveranden und pastellfarbenen Anstrichen genauso gut im amerikanischen Süden stehen könnten.
Etwa einen Kilometer vor dem eigentlichen Ortseingang hat man hier 2010 ein luxuriöses Hotel mit Spa und Poollandschaft eröffnet, dessen großzügig verglaste Front einen weiten Blick über den Flusslauf zulässt. Daran angeschlossen, ist ein Reservat für einheimische Tier- und Pflanzenarten, eine Art Open-Air-Naturkundemuseum mit dem Ziel, Besuchern, die nicht die Zeit für ausgiebige Dschungelexpeditionen haben, eine Ahnung davon zu geben, wie kostbar und schützenswert der Wald und seine Bewohner sind.
In einem überdachten Gefährt mit Leoparden-Lackierung, das einem größeren Golfkart ähnelt, bringt man uns von dort zur „Aerial Tram“, einer Seilbahn, die zu einem Aussichtsturm führt, von dem man – so hat man mir versprochen – die beste Aussicht auf den Wald hat. Bevor es jedoch hinaufgeht, mache ich die Bekanntschaft eines ungewöhnlich zutraulichen Nasenbären, der wahrscheinlich über die Zeit gelernt hat, dass er etwas vom Proviant der Touristen abbekommt, wenn er nur süß genug ist. Sowas zieht bei mir natürlich nicht.
Unter der Ägide eines Guides im sandfarbenen Ranger-Outfit steigen wir in offene Gittergondeln und schweben los. Es ist wie eine Fahrt durch alle Grüntöne, die das Auge ermessen kann. Ich brauche den Arm nur ein kleines bisschen ausstrecken und berühre die Wipfel der Bäume. 8000 verschiedene Pflanzenarten – so viele sind zumindest erforscht – verteilen sich im Nationalpark auf 221 km², hinzu kommen fünf verschiedene Affenarten, Jaguare, Faultiere, Capybaras und eine nicht zu überblickende Vielzahl von Schmetterlingen, Käfern und jenen Fröschen, deren Gift die Indianer für ihre Pfeile zu verwenden pflegten. Außerdem gilt die Straße, die dem alten Verlauf der Dschungel-Pipeline folgt, als bestes Areal zur Vogelbeobachtung in ganz Zentralamerika.
Oben dann löst der Aussichtsturm alle Versprechungen ein. Vom Level zu Level lichtet sich das Dickicht der Vegetation, ganz oben, 160 Meter über dem Flussniveau, entfaltet sich die ganze Erhabenheit der Kulisse. Auf der einen Seite der hölzernen Plattform sehe ich dem Río Chagres zu, wie er in gewundenen Linien im Horizont verschwindet, auf der anderen Seite wird die Herrschaft des Grüns nur von der wie mit dem Lineal gezogenen Linie des Kanals durchschnitten. Der Frachter, der in Richtung Pazifik unterwegs ist, scheint in seiner Bewegung erstarrt. Und obwohl acht Menschen auf diesem Turm stehen, ist es für ein paar Augenblicke ganz still. Bis die erste Kamera klickt.
KOOPERATION
Die Reise nach Panama und Honduras fand in Kooperation mit der Central America Tourism Agency statt.
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Wir danken für das wunderbare Programm und die Organisation dieser Reise!