PROLOG

Vier von zwölf Tagen auf der französischen Insel Korsika liegen hinter uns. Vier volle Tage haben wir die Ostküste ins Visier genommen und steuern nach zwei entspannten Tagen in Porto Vecchio allmählich der Südküste mit dem vermeintlichen Highlight der Insel zu. In den nächsten vier Tagen geht es zunächst nach Bonifacio, der Hafenstadt an der südlichen Spitze der Mittelmeerinsel und schließlich der Westküste folgend weiter gen Norden bis zum idyllischen und geschützt gelegenen Strand von Porto Pollo.

BONIFACIO - DIE STADT AUF FELSEN

Auch wenn ihr Korsika noch nicht selbst besuchen konntet, ist euch sicherlich der Name aber auf jeden Fall die Bilder der südlichsten Hafenstadt Korsikas bekannt: Bonifacio. Die Stadt, die kühn und senkrecht über dem Mittelmeer thront, gab der Meerenge zwischen Korsika und Sardinien, der Straße von Bonifacio, ihren Namen. Die Festungsstadt mit nur knapp 3.000 Einwohnern teilt sich in zwei Gebiete auf: die Ville haute, die mittelalterliche Altstadt und die Marina im Hafenbereich vor den Toren der auf Klippen gebauten Schönheit.

Die Ville haute liegt auf einer 900 Meter langen, schmalen und parallel zur Küste verlaufenden Landzunge aus Kalkstein, der Île de Fazio, die an ihrer Seeseite knapp 70 bis 90 Meter senkrecht zum Meer abfällt. Der kleine Yacht- und Fischerhafen von Bonifacio sowie das Kalksteinplateau im Süden mit der darauf angesiedelten Altstadt bildet eine der eindruckvollsten Städte im Mittelmeerraum. Als wir Bonifacio nach einer knapp einstündigen Fahrt erreichen, verstehen wir auch warum.

An der Landseite findet sich eine fjordartige Bucht, die einen gut geschützten Naturhafen bildet in denen sich Yachten und Fischerboote eng aneinanderdrängen und hier Zuflucht vor der stürmischen See suchen. Zuflucht vor der stürmischen See haben übrigens auch bereits die Boote des toskanischen Grafen Bonifacio II gesucht auf dem die Gründung der Stadt im Jahr 828 zurückgeht. Die Stadt, die einst und auch noch heute über eine Zugbrücke und einen im Zickzack angelegten Tunnel als Festung quasi uneinnehmbar scheint. Das Ausmaß der alten Zitadelle und der Altstadt wird vom südlichsten Punkt Korsikas, dem Cape Pertusato mit seinem Leuchtturm so richtig ersichtlich. Entlang der Klippen spazierend eröffnet sich unweit der Stadt vom angrenzenden Hügel die atemberaubende Aussicht auf die Front der Stadt. Die Häuser scheinen nahezu über dem Abgrund zu schweben – weit darunter hat das Meer in Jahrtausende langer Arbeit tiefe Grotten in die Sandsteinküste gewaschen.

Von unserem Hotel am westlichsten Punkt der Stadt, direkt neben dem Cimetière Marin gelegen, in der zahlreiche Mausoleen eine eigene kleine Stadt bilden, erkunden wir an unserem einzigen Abend in Bonifacio die Altstadt. Das Cimetière Marin ist kein gewöhnlicher Friedhof, schließlich sind hier fast alle Seemänner begraben, die den vor der Küste tobenden Stürmen zum Opfer fielen. Nicht weniger historisch ist jedes Gebäude der Stadt selbst. Auf kleinstem Raum winden sich enge Gassen im Inneren der Stadtmauern entlang. Kleine Restaurants und Boutiquen müssen mit eingezogenem Kopf besucht werden. Selbst die stadteigene Kirche fügt sich wie ein Puzzleteil in die willkürliche Struktur großer Felsblöcke ein, über welche die Korsen ihre Wäsche zum Trocknen hängen. In Richtung Osten laufend biegen wir in eine winzige Boutique in der Rue Doria ein, die aus Muscheln gefertigte Kunstwerke und inseleigene Weine verkauft. Der Blick aus dem geöffneten Fenster ist noch nicht einmal was für Schwindelfreie. Das Haus auf der Klippe schwebt über dem Abgrund – „Wann wird dieses Wunder der Natur zum Opfer fallen?“ fragen wir uns und verlassen das Geschäft mit schlotternden Knien.

ESCALIER DU ROI D’RAGON - 600 STUFEN ZUM MEER

Wir folgen dem Labyrinth aus Straßen zurück, Richtung Hotel reichen einer Frau zwei Euro und bezahlen nichts ahnend den Eintritt zur bekanntesten Sehenswürdigkeit der Stadt, den Escalier du Roi d*Aragon – den 600 Treppenstufen des König Aragon, der die Stadt 1420 belagerte. Die in den Stein gehauenen Stufen führen von der Oberstadt zum Meer. Um die Treppen selbst ranken sich unzählige Legenden.

Am wahrscheinlichsten scheint allerdings auch uns, dass König Aragon sie während der Belagerung Bonifacios in nur einer Nacht in den Fels geschlagen hat, um die Stadt vom Meer aus zu erobern. Ist der Abstieg einmal geschafft entlohnt die unvergleichlich spektakuläre Aussicht und das tobende Meer für alles. Kein Wunder, dass einem an diesem Ort die Bilder des Odysseus von seiner Irrfahrt im aufbrausenden Meer in den Sinn kommen. Welch Zufall, denn Odysseus scheint die Gegend wirklich gefallen zu haben, legte er doch bereits tatsächlich an der Stelle an, an der heute Bonifacio liegt.

ROCCAPINA - DIE SAGENUMWOBENE LÖWENBUCHT

Wir verlassen Bonifacio leider bereits am nächsten Morgen. Gerade früh genug, denn an diesem Freitag strömen die Touristen in Kolonnen in die Stadt, die am Tag zuvor noch nahezu verlassen schien. Der Verkehr staut sich über 20 Kilometer zurück und wir sind froh, dieser Kolonne entgegen zu fahren statt mit ihr zu stehen. Die Straße führt uns von Bonifacio auf der T40 an der Westküste entlang weiter hoch in den Norden. Eines wird sofort deutlich: Die Region ist weniger dicht besiedelt als die Ostküste und führt uns stundenlang auf teilweise einsamen Straßen an der Westküste entlang, bis wir schließlich nach einer Kehre die Bocco di Roccapina erblicken. Wir halten mit unserem Auto und erhaschen einen Blick auf die Bucht von Roccapina, über dessen Strand, ein 144 Meter hoher Granitfelsen in Form eines Löwen thront.

Wir folgen der Straße ein Stück weiter und verschwinden mit unserem Auto auf einer Schotterpiste. In Schrittgeschwindigkeit geht es über Stock und Stein – ein Zustand, der unserem Auto wenig behagt und die Bucht vielleicht genau aus diesem Grund so unerreichbar für viele macht. Während wir das Auto im Dickicht parken, geht es die letzten 100 Meter zu Fuß bis sich hinter einem dornigen Busch das Naturwunder offenbart. Über knapp 500 Meter Länge und 100 Meter Breite erstreckt sich der schneeweiße Bilderbuchstrand, der eigentlich viel zu verlassen scheint bei seiner Größe und Schönheit. Vom Wind geschützt schnorcheln wir einen ganzen Tag durch das nur knietiefe, türkisblaue Wasser mit bunten Fischen, lassen uns von der Sonne wärmen, spielen Beachball oder genießen einfach nur den Blick auf den riesigen Fels der tagein und tagaus über die Bucht thront. Der Legende nach soll sich hier übrigens ein Adeliger namens „Löwe der Barbare“ aus Verzweiflung in den Felsen verwandelt haben, als das Mädchen starb, in das er unsterblich verliebt war.

PORTO POLLO - EIN HAUS AM MEER

Mit einem Sonnenbrand und zwei hungrigen Mägen verlassen wir den Traumstrand von Roccapina. Die zuvor befahrene Straße führt uns weiter gen Norden nach Sartène und Proprian bis wir schließlich kurz vor Olmeto auf eine weniger befahrene Straße Richtung Serra-di-Ferro abbiegen. Auf der linken Seite öffnet sich der Blick auf die Bucht von Porto Pollo, einem kleinen, nicht einmal 1000 Seelen Örtchen, das allem Anschein nach gerne von Urlaubern besucht wird. Die kleine Küstenlinie bleibt größtenteils unzugänglich, da ein Bungalowdorf und ein Campingplatz den feinen Sandstrand von den Blicken der Urlauber schützt. Zu gut, dass wir in diesem Bungalowdorf ein kleines Häuschen für zwei Nächte gemietet haben. Dass es nicht weit zum Meer sein kann ist klar, als wir unseren Bungalow beziehen wurden unsere Erwartungen allerdings weit übertroffen. Es sind exakt fünf Meter bis zur Küste, die so friedlich und ruhig hinter kleinen Pinienbäumen und Palmen liegt. Mit dem tobenden Meer im Ohr nehmen wir unsere Sonnenliegen und platzieren sie auf einem kleinen Sandstreifen, öffnen ein Fläschchen Weißwein und bleiben hier, für die kommenden zwei Tage und Nächte.

Nur am Abend verlassen wir unseren kleinen, fast privaten Strand und folgen ihm Barfuß zum anliegenden öffentlichen Strand, der kaum mehr besucht ist. Hier gibt es in unmittelbarerer Nähe zum kleinen Hafen drei bis vier Restaurants und Bars, die hauptsächlich von Einheimischen zu späterer Stunde besucht werden. Zwischen riesigen Kakteen führt eine Treppe die Böschung hinauf in eines der Restaurants, in dem wir an jedem Abend in Porto Pollo bei Weißwein und Muscheln sitzen, dem Meer lauschen, über dies und das sprechen während sich der Himmel am Horizont allmählich pink färbt bis sich der Vollmond, so groß wie ich ihn niemals zuvor gesehen habe, über den Bergen emporsteigt. Die Nächte sind klar, die Luft lau, das Wasser warm, das Meer so ruhig wie es nur nachts ist.

MEHR

Ihr wollt mehr über Korsika erfahren, dann lest hier das #irefWiki mit zehn spannenden Fakten zur französischen Insel, den ersten Teil des Korsika Roadtrips hier und den letzten Teil hier.