Warum es Großstädter immer mehr aufs Land zieht und warum Landeier die Anonymität in Großstädten mögen. Wie wir aufwachsen, was wir lernen und welche Erfahrungen wir machen, beeinflusst stets das, was – oder wer wir sind. Doch trifft das auch auf unsere Sehnsüchte zu? Sind die der Städter anders als die der Dorfkinder? Norman wohnt in Berlin, ist Agenturinhaber und Blogger. Barbara kommt aus Meran – mitten aus den Südtiroler Bergen und arbeitet in der Tourismus PR.
1. IHR KENNT BEIDE JEWEILS DIE HEIMAT DES ANDEREN: WAS IST EUER LIEBLINGSORT IN MERAN UND BERLIN?
Norman: Das ist in Berlin gar nicht mehr so einfach. Ich lebe seit 15 Jahren in der Hauptstadt. Ständig eröffnen neue Stores und Cafés, viele schließen auch, auch die, die mir am Herzen liegen. Dabei jagt ein Hype den nächsten: Veggi, Vegan, Cold Press, Raw – Superfoods everywhere. So vielschichtig wie die Szene, so komplex auch das Angebot. Drum liegen mir vor allem Orte am Herzen, die sind was sie sind und sich nur wenig verändern. Orte wie der Weinbergspark im Ortsteil Mitte, in unmittelbarer Nähe vom Rosenthaler Platz. Es ist weniger ein Park, vielmehr ein kleines Stück Grün inmitten der ganzen Großstadthektik, wo man sich kurz mal hinsetzen und durchatmen kann. Fast wie ein kleines Stück Meran – mitten in Berlin. Es verwundert also nicht, dass auch in Meran genau jene Orte mein Herz erobern, wo ich bekomme, was ich in Berlin kaum habe: Ruhe und Natur. Müsst‘ ich mich wirklich entscheiden, was mir alles andere als leicht fällt, ist natürlich der Meraner Höhenweg ganz weit vorne.
Barbara: In Meran drehen sich die Uhren nicht so schnell wie in Berlin und Südtiroler lieben, was sie um sich herum haben. Neue Trends gibt es daher eher selten. Das ist einerseits schade, andererseits aber auch ganz gut. Man weiß, was man bekommt. In Meran liebe ich den Tappeinerweg. Mediterrane Pflanzen mit Aussicht auf die Stadt und die hohen Berge der Umgebung. Am liebsten sitze ich auf einer Bank im Schatten mit Sicht auf die Pfarrkirche, die zu meinen Füßen liegt. Ich beobachte die Menschen, die vorbeiziehen: Jogger, Muttis mit Kinderwägen, Omis und Opis. Man hört deutsch und italienisch gleichermaßen, insgesamt gibt es immer was zu gucken.
In Berlin mag ich genau das, was ich in Meran nicht habe: Den neuesten Hype. Norman muss mich in Berlin also immer dahin schleppen, wo’s angesagt ist: zum Koreaner, zum Cold Press Laden, zum kolumbianischen Coffee Shop. Wo ich wahnsinnig gerne esse, ist im Restaurant Pantry. Tolle Location, noch tolleres Essen und ich bin bisher immer freundlich bedient worden (was in Berlin auch mal daneben gehen kann).
2. WO, GLAUBT IHR, GIBT ES GEMEINSAMKEITEN DER STÄDTE UND WO UNTERSCHEIDEN SIE SICH GRUNDSÄTZLICH?
Norman: Früher hätte ich nur wenige Gemeinsamkeiten gesehen, heute Duzende. Nachhaltiges Denken, Natur, Genuss oder Entspannung waren nicht gerade die treibenden Säulen im Berlin vergangener Tage – doch heute schon. Gerade in Sachen Genusskultur und Nachhaltigkeit hat sich die Hauptstadt sehr positiv entwickelt. Die unlängst etablierten Zentren rund um Berlin Mitte, Kreuzberg und Prenzlauer Berg als auch die eingesessen Restaurants und Bars im Westen der Stadt, allesamt haben sie ihre Menükarten reformiert und locken mit hervorragendem Portfolio an Food-Kreationen. Wie in Meran ist von günstig bis nicht günstig alles dabei – qualitative Unterschiede werden auch hier nicht über den Preis definiert. Vegetarismus, Veganismus, oder prinzipiell das Streben zur grünen Mitte ist ein weiterer Punkt, den ich in beiden Regionen vorfinde. In Meran eher naturell vorbestimmt, in Berlin Step by Step erlernt. Das heißt noch lange nicht, in Berlin lebe nun der deutsche Saubermann, gewiss nicht, doch erschließt sich ein wahrhaft grüner Faden, der dem Großstädter sichtlich gut tut.
Als weitere große Gemeinsamkeit möchte ich gern die Neugier benennen: Sowohl in Meran als auch in Berlin sind die Menschen sehr umtriebig, schauen gern über den Tellerrand und wollen wissen, was draußen noch so los ist. Klar werden in Berlin mehr Trends produziert – hier leben 10 mal so viel Menschen wie in gesamt Südtirol, doch in der Summe nehmen sich beide Kulturen nix. Berliner und Südtiroler sind Macher, das gefällt mir.
Barbara: In Südtirol geht man wandern, sucht sich eine schöne Hütte und genießt nach dem Essen die Sonne. Nicht selten legt man sich dabei auf die Wiese nebenan oder schnappt sich – sofern vorhanden – einen Liegestuhl. Das ist in Berlin nicht ganz anders. Man tausche Almwiese mit Café in der Sonne und sieht die gleichen Gesichter: entspannt, glücklich und um jeden Sonnenstrahl froh.
In vielen Großstädten herrscht eine latente Hektik, in Berlin aber habe ich immer wieder das Gegenteil gefunden. Hektik mögen wir also beide nicht.
Unterschiede gibt es natürlich so einige: Internationale Großstadt vs. kuschelige Kleinstadt, crazy Künstler vs. bodenständige Bäuerin, Plattenbau vs. Jugendstilvilla. Den wohl größten Unterschied sehe ich im Unternehmergeist. In Berlin hat man eine Idee und setzt sie um. In Meran hat man eine Idee, läuft von Amt zu Amt, berät sich mit Steuerberater, Anwalt und Nachbarn, wägt die Kosten ab und lässt es dann bleiben. Es ist, als hätte der Berliner keine Angst zu scheitern. Und wenn doch, dann kommt morgen die nächste Idee. „Alles fließt“ in Berlin.
3. WAS MACHT IHR IN EURER STADT AM WOCHENENDE?
Norman: Ich habe bei Frage zwei keine Antwort hinsichtlich Unterschiede gegeben. Denn hier folgt ohnehin der größte von allen. Wir Hauptstädter bekommen nur ga-a-nz langsam den Hintern hoch – vor allem am Wochenende. Zwar reden alle davon: „Ab ins Grüne. Los, wir fahren an die Ostsee. Oder: Komm, wir spazieren mal ne Runde im Grunewald!“ Doch ist es wie es ist. Zwei Drittel der Großstädter hängen am Wochenende einfach nur rum und reden lieber davon was sie so tun würden – wenn sie könnten. Was eigentlich auch ganz charmant ist – bei all den schönen Cafés.
Barbara: Siehe Almhütte und Liegestuhl. Wir haben es immerhin vor der Nase. Das heißt nicht, dass wir nicht auch mal den ganzen Tag in der Pyjamahose rumliegen. Letztens habe ich eine Tour durch verschiedene Kellereien gemacht. Hoch im Kurs stehen auch Kochen/Backen, Essen gehen, sich um den Garten kümmern, Familie oder Freunde besuchen und das alles gemeinsam machen. Hier ist es schon ein bisschen wie im Schlaraffenland, das vergessen die Südtiroler manchmal.
4. PRO UND CONTRA – MERAN UND BERLIN:
Norman: Berlin ist zu dunkel! Meran schwer zu erreichen! Das ist beides äußerst nervig, doch wie heißt es so schön? „Wir sind hier nicht bei wünsch dir was!“ Drum überspringe ich das Contra und renne rüber zum Pro: Denn je dunkler in Berlin, desto größer die Vorfreude auf Meran. So einfach ist das!
Barbara: Den Meranern fehlt oft der Blick für das große Ganze und in Berlin werde ich bei jedem Besuch mindestens einmal angeschnauzt. In Meran schätze ich das Bekannte, das Sichere, das Familiäre. In Berlin liebe ich die Anonymität. Es tut ab und zu ganz gut, wenn sich kein Schwein für dich interessiert.
5. WAS WAR FÜR EUCH DER INBEGRIFF VON EINEM PERFEKTEN URLAUB, ALS IHR KLEIN WART?
Norman: Als kleines Kind ging Urlaub für mich stets mit den Worten Abenteuer & Spaß einher. Entspannung, Genuss oder Kultur im Allgemeinen sind nicht gerade die Worte, die Kinderaugen zum Leuchten bringen. Zudem gab es nichts, wovon ich mich nicht habe leiten lassen: Nach jedem Abenteuerfilm wollte ich sofort in den Dschungel, nach jeder Raffaello Werbung in die Südsee, von Flipper und Heidi fangen wir gar nicht erst an. Lustigerweise muss ich gerade feststellen, dass sich so viel daran gar nicht geändert hat.
Barbara: Sandstrand, eine Schaufel und ein Eimer Wasser. Hat alles auf einem Quadratmeter Platz und reicht für 7 Tage ultimativen Spaß. Im Geiste ging‘s richtig ab: Ritterburgen, Aquädukte und Sandgräber für eigene und fremde Körperteile. Schon in der Nacht vor der Fahrt an den Strand haben wir kaum geschlafen, der Film lief bereits auf vollen Touren. Um drei Uhr nachts ging‘s dann los: Aufstehen (was kein Thema war, wir lagen hellwach mit einem Grinsen im Bett), anziehen, rein ins Auto um bei Sonnenaufgang am Strand zu sein. Wie sehr haben meine Geschwister und ich uns jedes Jahr darauf gefreut!
Wenn ich so darüber nachdenke, ist es schade, dass man sich heute nicht mehr so freuen kann wie damals als Kind. Diese extreme Vorfreude ist immer noch eines der besten Gefühle, die ich je hatte.
6. WO LIEGT HEUTE EUER TRAUMZIEL?
Norman: Ich habe in den letzten 7 Jahren nahezu 80 Länder bereist. Ein reales Traumziel gibt es für mich nicht. Jedes Land ist exklusiv und einzigartig in seiner Art. Die Frage ist auch, ob man zwingend in die Ferne muss, um zu finden wovon alle träumen. Für viele kann der Ausflug in die Vorstadt bereits traumhaft sein, andere müssen zig Berge erklimmen und tausende von Meilen hinter sich lassen um zu finden, was sie suchen. Egal was es ist: “My destination is no longer a place, rather a new way of seeing.”
Barbara: Norman trifft es schon ganz gut: Jedes Land ist spannend, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen. Mein Herz schlägt jedoch immer höher, wenn ich Filme sehe, die im Dschungel spielen: Indiana Jones, Jurassic Park, Jumanji, Mogli und Peter Pan. Der Mix aus Abenteuer, Tierlaute und Pflanzen hat für mich einen ungeheuren Reiz.
7. VIELEN DANK IHR ZWEI – UND WORIN LIEGEN JETZT DIE UNTERSCHIEDE?
Norman: Ehm.
Barbara: HaHa.