Gegenstände, vom Menschen hergestellte, unterscheiden sich oft deutlich von Dingen, die in der Natur vorkommen. Artefakte sind meist nützlich, dienlich, unseren Bedürfnissen angepasst oder erfüllen (angenehme) Zwecke. Manche gehen dahin und sagen, bestimmte Kunstwerke etwa entbehren einer bloßen Zweckhaftigkeit, sie könnten gar für sich selbst stehen. Aber auch diesen ist es eigen, dass sie gemacht sind und nicht gewachsen. Genauso ist es mit dem Bild, das wir gemacht und aus-gewählt haben für diese Reihe zur Gastfreundschaft: die gedeckte Tafel. Unabhängig davon, was damit ausgedrückt werden sollte, lässt sich sehen, dass sich im Bild be-stimmte Vorstellungen manifestieren. Denn im Prinzip lassen sich alle gemachten Gegenstände als solche begreifen: als Manifestationen geistiger Gehalte. Und als solche lassen sie sich auf ihre impliziten Vorstellungen und verdeckten Vorannah-men untersuchen. Ein Möbelstück, ein Sofa beispielsweise, ist nicht allein eine Ma-nifesta¬tion des Konzepts Sofa; es ist ebenso eine Repräsentation bestimmter Ideen; Ideen eines gewissen Designs, einer Art von Komfort, einer Stimmigkeit von Farbe und Form. Es lassen sich also Rückschlüsse ziehen.

Die gedeckte Tafel – auf dem Bild – steht besonders in Europa in einem christlichen Kontext. Es ist diese einladende Geste, die hier spricht. Ein Mensch lädt Gäste in sein Haus. Es gibt einen Anlass, einen Zeitraum und offenbar gewisse Regeln. Denn die Art und Weise, wie und was gedeckt wurde, zeigt einen Umgang mit Besteck und gibt vielleicht sogar Aufschluss über eine Reihenfolge der Gänge. Verschiedene Gläser deuten auf verschiedene Getränke hin, denen eine unterschiedliche Güte zugewiesen wird, ablesbar an der Gestaltung des Glases. Als Beigabe erweitern Dekoration und Kerzenlicht die Anordnung und es wird fast zu einer Komposition. Man könnte sagen, das sei alles selbstverständlich, Tradition und Konvention. Und das ist gerade der Punkt, den ich machen möchte. Anderswo ist es nicht so und bei uns ist es nicht notwendigerweise so. Dass etwa in ande¬ren Kulturräumen nicht mit Besteck gegessen wird, zeigt uns dies sehr genau.

Es ist dieser europäische Zusammenhang, auf den ich hinaus möchte. Dieser prägt viele der hier lebenden Menschen – aber eben auch nicht alle. Zu diesem eu-ropäischen Kontext gehört auch eine bestimmte Vorstellung von Gastfreundschaft. Denn diese wird anderswo durchaus anders gelebt und praktiziert. Und in dieser – unserer – Vorstellung gibt es einen Menschen, der Gast ist, zu Gast bei einem Anderen, der zu Hause oder heimisch ist. Ganz gleich, ob ich mich dafür in die Woh-nung von Freunden oder in ein anderes Land begebe. Doch in dieser Differenz steht eben auch eine Konvention: dass ich etwas als mein Eigen oder mir zugehörig be-trachte. ‚Meine‘ Wohnung, ‚meine‘ Stadt, ‚mein‘ Land. Dieser Ich-Bezug wiederum ist sicher keiner, der auf unseren Kulturraum beschränkt ist. So oder so, überall, wo ich diesen Be¬zug herstelle und ein Anderer eintritt, der/die diesen Bezug nicht teilt, wird sie/er zum Gast – oder zum Fremden, das kommt auf meine Perspektive an. In einer Befindlich¬keit von Nähe stehen Fremde weit entfernt, in größter Distanz, dort wird es ge¬fühlt kälter. Wärmer wird es beim Gast. Und mit die größte Nähe erlaubt man Freun¬den. Doch ist es nicht die Fremde, die sich selbst zur Fremden macht. Ich bin es. Es ist meine Bezeichnung, meine Vorstellung, möglicherweise oder wahrscheinlich – die Entscheidung möchte ich gerne jeder/m selbst überlassen – ein Resultat meiner Angst. Die Befürchtung etwas zu verlieren, die Furcht vor Unsicherheit oder einfach eine diffuse Angst vor Veränderung.

Wenn ich es jedoch bin, der Fremdheit in die Welt bringt und eben nicht der ‚fremde‘ Mensch, dann kann ich dasselbe Prinzip auf die Gastfreundschaft anwen-den. Ich mache den Gast zum Gast, im selben Augenblick, in dem ich ihn als solchen sehe. Wenn ich mir diese Figur aber zu eigen mache, mich selbst als Gast betrachte, davon absehe, dass es ‚mein‘ Land ist und meine Perspektive öffne, hin zu einer Weltgemeinschaft, dann sehe ich trotz aller Unterschiede die Ähnlichkeit im Anderen. Dann sehe ich nicht meine innere Angst als Fremdheit im Außen, ich sehe meine Menschlichkeit im Anderen, weil sie auch dort wohnt. Unser Verhältnis bekommt eine größere Symmetrie, wird auf eine Ebene gestellt.

Mir ist bewusst, dass heute, wie nie zuvor, vermeintlich definierende Merkmale wie Nationalität, Hautfarbe, Glaube, geschlechtliche Identität, ethnische Herkunft thematisiert werden. Offenbar sind wir an dem Punkt, wo wir das brauchen. Denn offenbar gibt es noch genügend Men¬schen, die diese Merkmale als unüberwindbare Unterschiede ansehen, und nicht als mannigfaltige Formen und Ausdrücke des menschlichen Da¬seins betrachten – oder schlicht als Zuschreibungen statt als Eigenschaften. Also thematisieren wir es immer wieder neu und hinterfragen unsere eigene Herkunft – wie auch die unserer Begriffe. Um das einmal zu veranschaulichen an meiner eigenen Einstellung: Gäbe es einen subjektiven Gradmesser für Akzeptanz und Toleranz gegenüber Andersheit, würde ich mich selbst in einem ersten Reflex dort einordnen, wo der größtmögliche Freiraum einem Anderen zuerkannt wird. Doch ich weiß auch, dass Akzeptanz und Toleranz nicht bloß das sind, was ich von mir denke wie ich bin, sondern und vor allem auch wie ich handle und mich Anderen gegenüber verhalte. Ich akzeptiere, dass es damit keine Perfektion gibt und ich mich in einem stetigen Lernprozess befinde. Und genau im Zuge dessen möchte ich mich selbst als Gast betrachten, um Gastfreundschaft letztlich zur Freundschaft werden zu lassen, die potenziell alle Menschen miteinander teilen können.

Wenn ich die Ähnlichkeit betone und über bestimmte äußerliche Unterschiede hinwegsehe, dann betone ich eine Ähnlichkeit in der Fähigkeit zu lieben und Mitge-fühl zu empfinden – auch wenn beides beizeiten überlagert oder verschüttet er-scheint. Trotzdem oder zugleich sind Menschen verschieden. Verschiedenheit hat jedoch eine andere Dimension als Unterschiedlichkeit. Wenn Unterschiedlichkeit der Pool an Merkmalen ist, die ich oben aufgezählt habe, wie Hautfarbe und geschlechtliche Identität, dann sind dies Unterschiede, die mich jedoch nicht als Person ausmachen. Ich teile sie immer zugleich mit Anderen. Damit wird nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, dass ich mich teilweise darüber definiere und einen Glauben oder eine Herkunft, für das Mosaik, das ich Persönlichkeit nenne, als wichtig erachte. Gleichzeitig heißt es, wenn diese Unterschiede, die mich durchaus von Einigen unterscheiden, die ich mit wieder Anderen teile, wenn diese Unterschiede mich nicht ausmachen, braucht es noch etwas anderes, das in Richtung der Einmaligkeit eines Menschen zeigt. Ich möchte das Verschiedenheit nennen. Damit meine ich, Menschen sind nicht alle gleich; sie haben – und das ist wichtig – alle dieselben Rechte (wenn das auch oft nicht anerkannt und praktiziert wird) und gleiche Anlagen und Fähigkeiten wie etwa Freude und Schmerz zu empfinden, zu Lachen und zu Weinen, Entscheidungen treffen zu können. Verschiedenheit allerdings ist eine Einmaligkeit im Ausdruck, in der Lebens- und Denkweise, in der Imagination. Und das heißt für mich, die lebendige Ein¬zigartigkeit des eigenen Daseins zu leben und sich dabei gerade Eigenheiten zuzu¬trauen. Was es genau ist, das einen Menschen ausmacht, da bin ich mir nicht sicher. Und auch froh darum. Denn, ob es überhaupt möglich ist das exakt zu bestimmen, das bezweifle ich. Wenigstens für mich.

Wenn ich dies nun auf die Freundschaft übertrage, dann erschaffe ich mir eine Sichtweise, in der ich Unterschiede bei und zu meinem Mitmenschen sehe, sie aber eben nicht als wesentlich oder essentiell betrachte, dafür ihre Ähnlichkeit zu mir und Ande¬ren erkenne, weil ich einen Teil von mir in ihnen sehe, und schließlich darüber hin¬ausgehe und ihre zutiefst eigene Verschiedenheit, ihre Eigenheiten anerkenne und schätze und wenn ich denn möchte, sie dafür ermutige. Das ist mein momentanes Verständnis, ein Prozess im Hintergrund meines Bewusstseins, der idealerweise auf meine Begegnungen mit Menschen einwirkt. Ja, ein Ideal und ein Anspruch. Idealen und Ansprüchen kann man nicht stets und ständig genügen, auch das heißt menschlich sein. Ich glaube, da bin ich nicht allein. Sei’s drum, in diesem Fall möchte ich es zumindest und wenigstens immer auf’s Neue versuchen.

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