Auf unseren fotografischen Reisen mit der Berliner Fotografin Carolin Weinkopf sind wir nun also in der ungekrönten Hauptstadt der westlichen Kultur angekommen: NYC ist das Stichwort! Im Interview schreibt sie über den Mythos, der diese Stadt umgibt, schier unerschöpfliche Motive für Fotografen und Orte der Melancholie.

New York ist der Inbegriff der Metropole, ein Ort, der so etwas wie die Hauptstadt der westlichen Kultur ist. Allein die Initialien NYC genügen, um eine Flut von Assoziationen auszulösen- auch in den Köpfen derer, die noch nie da waren. Was macht in deinen Augen die Faszination dieser Metropole aus?

New York ist vor allem unglaublich international und tolerant. Ich glaube wirklich an den Mythos, dass hier jeder seinen Platz finden und seinen Traum verwirklichen kann, wenn er oder sie hart (an sich und für die Miete) arbeitet. In New York kämpft jeder seinen kleinen Kampf, um in der großen, teuren Stadt zu bestehen. Auch wenn ich froh bin, diesem Druck nicht täglich standhalten zu müssen, muss ich sagen, dass ich diese Machermentalität der New Yorker sehr zu schätzen weiß. Ich finde viel Inspiration in der Stadt und ihren Menschen.

Ich bin ein absoluter Großstadtmensch, an New York liebe ich besonders die „Ethnic Neighbourhoods“, Viertel in denen bestimmte Einwanderergruppen sich eine eigene kleine Welt geschaffen haben, die ihrer ursprünglichen Heimat ähnelt. Innerhalb von ein paar Stunden kann man in New York eine kleine Weltreise machen, exotische Spezialitäten probieren und Menschen aus allen Erdteilen treffen – das geht so nirgends sonst auf der Welt. Dafür muss man aber über die Kante des Reiseführers hinausschauen. Wenn ich nach Tipps für eine New York Reise gefragt werde, dann empfehle ich meist, eine Wochenkarte für die Subway zu kaufen und einfach einmal an jeder Station auszusteigen. Und zwar nicht nur in Manhattan, sondern auch in allen anderen Stadtteilen.

Es fällt nicht leicht, sich beim ersten Besuch nicht von der Stadt überrumpeln zu lassen, selbst als Großstadt erprobter Europäer. War es dein erstes Mal in NY oder hast du dich vorher schon einmal „hineinfühlen“ können?

Meine Bilder sind eine Zusammenstellung von mehreren Aufenthalten in New York in den letzten fünf oder sechs Jahren. Mein „erstes Mal“ ist schon eine ganze Weile her, ich glaube ich war damals ungefähr 10 Jahre alt und tatsächlich weniger überrumpelt als vielmehr unglaublich fasziniert. Schon damals war ich begeistert von der Offenheit und Diversität der Menschen und den spannenden Ecken, die ich überall entdeckt habe. Inzwischen war ich so oft in New York, dass ich aufgehört habe zu zählen, ein paar Monate habe ich auch richtig dort gelebt und gearbeitet. Ich habe dort gute Freunde und kenne mich sehr gut aus, ich weiß wo es den besten Kaffee und die besten Bagels gibt, und ich weiß wie ich am schnellsten von A nach B komme. Ich war schon an vielen Orten in der Welt, die mich sehr viel mehr eingeschüchtert haben.

New York ist der Künste liebster Schauplatz. Literatur, Film, darstellende Künste, Musik, Fotografie- überall ist die Metropole präsent. Glaubst du, dass New York, z.B. aufgrund der unheimlichen Masse an künstlerischer Thematisierung irgendwann etwas von seiner Strahlkraft einbüßen könnte?

Ich muss zugeben, dass ich manchmal etwas genervt bin von all den Werken, die die Stadt als Kulisse nutzen. Dennoch bin ich immer wieder hin und weg, wenn ich z.B. richtig gute Streetfotografie aus New York entdecke, und liebe es auch, gerade abgelegene Orte in der Kunst „wiederzuerkennen“. Die Stadt hat so viel Charme, ich glaube der braucht sich so schnell nicht auf.

Deine Fotos sind nicht die eines typischen New York-Touristen, eher die einer beobachtenden Einheimischen, die nach den perfekten Schnappschüssen Ausschau haltend durch die Stadt läuft. War es dir wichtig, nicht noch eine Serie voller Orte zu schießen, die schon tausende Male aus derselben Perspektive fotografiert wurden?

Ich versuche ja immer, egal wo ich bin, keine typische Touristin zu sein. New York macht es mir in dieser Hinsicht sehr einfach, weil ich nicht auffalle und weil ich die Sprache perfekt beherrsche. Niemand weiß, dass ich eine deutsche Fotografin bin, sondern die Leute denken, ich bin eine Einheimische mit Kamera, und ich benehme mich auch so. In meinen Bildern kommen aber durchaus Orte vor, die man wiedererkennen kann, es muss ja nicht immer die hinterste Ecke von Queens oder der Bronx sein, wo eigentlich gar keine Touristen unterwegs sind. Wenn ich aber z.B. das Empire State Building oder die Brooklyn Bridge fotografiere, dann suche ich dort nach ungewöhnlichen Perspektiven oder interessanten Menschen, und wenn ich diese fotografiere, geht es meist um sie als Projektionsfläche, und nicht um das Bauwerk im Hintergrund, das ist dann nur Kulisse.

Das erste Bild deiner Serie zeigt fünf ramponierte US-Flaggen mit einem landenden Flugzeug im Hintergrund. Ist dieses Foto für dich eines mit Symbolkraft?

Natürlich hat es Symbolkraft, es lässt kaum jemanden kalt, der es betrachtet. Viele Amerikaner finden das Bild verstörend, Europäer lieben es eher. Als ich das es 2009 in Coney Island aufnahm, war mir aber glaube ich zunächst gar nicht wirklich bewusst, was ich da für ein Bild gemacht hatte.

Trotz der vielen Menschen, die in der Stadt leben, zeigen deine Fotos fast ausschließlich Momente der Ein- oder Zweisamkeit, bisweilen mit einer gewissen Melancholie, niemals aber große Menschenmassen. Entspringt die Wahl der Motive eigentlich deiner aktuellen Stimmung wenn du fotografierst oder geht es dir rein darum, dem Betrachter deine Perspektive zu eröffnen?

Ich denke dass diese Beobachtung auf fast alle meiner freien Arbeiten zutrifft. Wenn ich mit der Kamera unterwegs bin, dann suche ich nach Geschichten, Gesichtern und Kuriositäten, und ich isoliere sie zu einem gewissen Grad aus ihrem Umfeld, damit sie zur Geltung kommen können. Meine Bilder sind aber nie inszeniert, sondern tatsächlich so gewesen. Mir ist sehr wichtig, dass die Momente auf meinen Bildern authentisch sind.

Wenn ich es nicht schaffe, schnell genug ein gutes Foto von einer bestimmten Situation zu machen, weil die Person sich bewegt hat oder die Komposition nicht mehr stimmt, dann gehe ich weiter und suche nach neuen Motiven. Manchmal laufe ich Menschen auch eine Weile hinterher, bis ich das Bild habe. Wenn wiederum eine bestimmte Kulisse oder ein Blickwinkel mich fesselt, dann muss ich manchmal ewig warten, bis jemand Interessantes durchs Bild läuft oder ein Vogel an der richtigen Stelle vorbei fliegt. Das ist bisweilen frustrierend, aber es lohnt sich. Man muss die Augen öffnen und natürlich in der Lage sein, innerhalb von Sekundenbruchteilen zu reagieren. Das übe ich, täglich.

Zudem ist New York aber auch einfach eine Stadt, in der die meisten Menschen im Alltag allein unterwegs sind, und ein Ort der Melancholie. Die Stadt gibt einem unendliche Möglichkeiten, aber man braucht auch ein dickes Fell, um sich dort durchzuboxen und nicht unter die Räder zu geraten. Das habe ich während ich dort gelebt habe auch am eigenen Leib erfahren.

Vielen Lieben Dank für das Interview! Wir freuen uns schon auf das nächste Mal!