Es ist Freitag, 15.00 Uhr und die Sonne steht hoch über den kleinen verwinkelten Gassen von Meran. Vor dem Ost-West-Club treffen wir den Südtiroler Hannes Egger. Er ist Künstler, dessen vorrangiges Ziel es ist Kunst erleb-, begreif- und mitmachbar zu machen. Er unterstützt als Kunst- und Kulturvermittler den interdisziplinären Austausch und setzt als Herausgeber des Kulturjournals „Kulturelemente“ Akzente in der hiesigen Szene.
Hannes ist 1981 in Lana, einem kleinen 10.000 Seelen-Örtchen unweit von Meran, geboren. Nach seinem Kulturmanagement-Studium in der österreichischen Hauptstadt Wien kehrt er wie viele Jugendliche aus der Region zurück in seine Heimat, während sich andere Künstler nach dem Sprungbrett der großen weiten Welt sehnen.
Im Gespräch erzählt er uns nicht nur, welchen essentiellen Teil die Zusammenarbeit mit Menschen in seiner Kunst ausmacht, welches seine Lieblingsprojekte sind oder woher er Inspiration schöpft, sondern erklärt auch was all das mit seiner Heimat, dem Meraner Land, zu tun hat.
i-ref: Hannes, wir haben uns viele deiner Arbeiten im Vorfeld mit großem Interesse angesehen und festgestellt, dass man deine Werke ja nicht als Kunst im klassischen Sinne bezeichnen kann. Wir haben dir jetzt mal den Trademark „Interaktionskünstler“ gegeben, auch, wenn das zunächst oberflächlich klingen mag.
Hannes: Nein, es ist keine Kunst im klassischen Sinne. Definitiv. Und nein, „Interaktionskünstler“ ist definitiv keine oberflächliche Bezeichnung für das, was ich tue. Es hat schon ausgesprochen viel damit zu tun.
i-ref: In deiner Kunst lässt sich eine sehr große Liebe für Meran, dem Meraner Land und natürlich auch mit vielen Themen, die damit einhergehen, erkennen. Wir haben von deinem Projekt „GoodPlaceBadPlace“ erfahren, das in uns ausgesprochen großes Interesse geweckt hat. Kurz gesagt, konnten Jugendliche aus Südtirol Orte aus ihrer Heimat mit Stickern als „Gut“ oder eher „Schlecht“ einstufen. Daraus ist dann eine „emotionale Landkarte Südtirols“ gewachsen. Kann man das so sagen?
Hannes: Genau, „GoodPlaceBadPlace“ war ursprünglich als Workshop mit Jugendlichen in Brixen konzipiert. Meine Idee war eigentlich mit Masken zu arbeiten. Es hat mit der Idee begonnen, das Jugendzimmer zu thematisieren, welches ich mir als Maske nach innen vorgestellt habe. Das gefiel den Kids aber ganz und gar nicht, allgemein waren sie an Themen ihrer Herkunft wenig interessiert. Ich habe sie also gebeten, mir noch eine Chance zu geben und gefragt, ob ich in einer Woche nochmal kommen kann um eine neue Idee zu präsentieren. Zu unserem zweiten Treffen hatte ich dann die Sticker mit. Wir sind durch die Stadt gezogen und sie sollten mir zeigen, welche Orte ihrer Heimat ihnen nicht gefallen oder eben doch. Das Resultat war eine rosarote Karte.
i-ref: Das heißt das Resultat war, dass es auch gar nicht so viele Orte gibt, die sie nicht mögen? Damit hätte wahrscheinlich niemand gerechnet, korrekt?
Hannes: Ganz und gar nicht. Wir gingen noch einen Schritt weiter und haben die Diskussion nach dem „warum“ angestoßen. Ich fragte: „Was gefällt euch? Was gefällt euch nicht? Und wieso lamentiert ihr, wenn ihr es nicht auf den Punkt bringen könnt oder wollt?“ Zum einen mussten die Kids im Nachgang feststellen, dass alles gar nicht so schlecht ist, wie sie immer dachten. Zum anderen bin ich noch einen Schritt tiefer gegangen, habe sie zum Nachdenken angeregt und vorherrschende Klischees gegenüber ihrer Heimat aus ihren Köpfen getrieben.
„Bei meiner Arbeit geht es ganz oft darum, etwas „rauszuschälen“, bis ich es auf den Punkt konzentriert habe. Und das hat für mich eben mit Bewegung zu tun, denn bewege ich mich nicht, bekomme ich keine andere Perspektive.“
i-ref: Nun ist das nicht die erste Arbeit, die du zusammen mit Kindern und Jugendlichen realisiert hast. Würdest du sagen, dass Kinder- und Jugendarbeit prinzipiell ein Thema für dich ist?
Hannes: Wer mich kennt weiß, dass ich immer auf der Suche nach Themen bin, bei denen ich Menschen involviere. Allerdings war die Zusammenarbeit in diesem Fall und das entstandene Resultat eher zufälliger Natur. Ich überlege natürlich auch strategisch, mit wem man zusammenarbeiten kann. Da gibt es dann natürlich bestimmte Bevölkerungsgruppen, mit denen es leichter geht, beziehungsweise welche, die mehr Interesse haben.
i-ref: Und das sind zum Beispiel Jugendliche?
Hannes: Anders gesagt: Die Politik hat es natürlich sehr gerne, wenn man mit Kindern arbeitet, obgleich ich mich davon ganz und gar nicht abhängig mache.
i-ref: Hannes, du bist in Lana geboren, hast in Wien studiert und bist wieder in deine „Heimat“ zurückgekehrt. Nun ist Lana und auch das Meraner Land schon eine sehr ländliche Gegend. Für viele deutsche Jugendliche steht gar nicht erst zur Diskussion, wieder in die ländliche Heimat zurückzukehren. In vielen Gesprächen stellten wir hier allerdings fest, dass viele gerne nach Meran zurückkehren. Warum ist es hier der Fall, beziehungsweise was waren die Gründe, warum du wieder zurückgekommen bist – gerade wenn man bedenkt, dass du zusätzlich noch Künstler bist und diese ja oft nach „Außen“ streben?
Hannes: Gute Frage. Das Meraner Land ist gewiss nicht die erste Plattform, an die man als Jugendlicher oder gar junger Künstler denkt. Aber in meinem Fall kann ich ziemlich konkret sagen, warum ich wieder zurückkehrt bin: Mir war die Stadt zu viel, zu groß, zu hektisch. In der Stadt hat es zu viel in meinem Kopf gewirbelt. Diese vielen verschiedenen Eindrücke haben mich in meiner Orientierung eingeschränkt. Ich brauche eine gewisse Ruhe, da meine Arbeit mit ganz starker Konzentration zu tun hat. Das geht für mich natürlich viel leichter, wenn eben nicht zu viel los ist.
i-ref: In einem anderen Interview sprichst du davon, dass du die meiste Inspiration zudem beim Gehen schöpfst?
Hannes: Ja und um es ganz genau zu sagen, beim Aufwärtsgehen. Dieses Phänomen lässt sich ganz oft im Sport beobachten: Beim Radfahren oder eben Joggen. Man beginnt mit vielen verschiedenen Ideen und lässt nach und nach das Überflüssige am Wegesrand liegen. Am Ende bleibt ein Teil übrig und das ist die Essenz davon. Bei meiner Arbeit geht es ganz oft darum, etwas „rauszuschälen“, bis ich es auf den Punkt konzentriert habe.
i-ref: Das Meraner Land bietet sich dann zum Aufwärtsgehen ja auch besonders an.
Hannes: Die Landschaft hier ist sehr speziell und ich kenne sehr viele Leute, was ich wiederum auch sehr mag und im kreativen Schaffensprozess förderlich ist. Betrachtet man das Meraner Land nochmal aus einer anderen Perspektive, so habe ich hier alles, was ich in meiner Arbeit brauche. Es gibt unzählige gute Handwerker, mit denen man über Projekte reden kann und die direkt erreichbar sind. Ich mag keine langen Wege. Letztendlich, wenn ich etwas brauche, muss ich nicht zum Baumarkt fahren, sondern gehe einfach zum Tischler meines Vertrauens.
i-ref: Wir sind große Fans der Biennale und durften erfahren, dass du dort bereits mit dem Projekt „See You“ bei der Biennale 2011 mitgewirkt hast. Auch hier sind wieder Themen wie „Aufwärtsgehen“ und „Berge“ sehr präsent. Die Verbundenheit zur Natur äußerst sich gefühlt in allen deiner Arbeiten.
Hannes: Das lässt sich nicht bestreiten, da habt ihr recht. Die Idee hinter „See You“ ist eigentlich auch ganz einfach: Es gibt ein paar Bergsteigerlegenden. In Österreich ist einer der höchsten Berge der Großvenediger. Die Legende besagt, dass der Berg deswegen so heißt, weil man von hier nach Venedig blicken kann. Ich glaube, das ist erst einmal – unabhängig von der Tatsache, ob man wirklich nach Venedig blicken kann – eine Hinwendung zum Meer. Und sprechen wir in meiner Region von Meer, fällt zwangsläufig der Groschen auf Venedig. Es geht also um einen Traum von Meer, der in den Westalpen nicht so präsent ist. Ich hatte überlegt, diese vermeintliche Sichtverbindung herzustellen. Hierzu habe ich eine Kamera in den österreichischen Pavillon installiert und dort haben wir dann die Besucher gefilmt und auf den Berg übertragen. Das eigentlich Interessante daran war, im Endeffekt zu sehen, dass die Besucher in Venedig und die Zuschauer auf dem Berg gleich erschöpft waren. Die Biennale-Besucher laufen mit Rucksack stundenlang durch die Ausstellung, die Bergsteiger laufen mehrere Stunden auf den Gipfel des Berges. Das war definitiv eine meiner Lieblingsarbeiten, auch weil es das alpine mit dem mediterrane meiner Heimat so schlicht kombiniert.
i-ref: Apropos: Gibt es ein aktuelles Lieblingsprojekt, an dem du gerade arbeitest und das unsere Leser dringend sehen sollten?
Hannes: Ich arbeite gerade an einem performativen Weg in Kärnten. Da ich meine Werke gerne selbst betreue und beobachte, dort aber leider nicht permanent anwesend sein kann, ist die Frage: „Wie kann ich mit jemandem, der sich auf diesem Weg bewegt, zusammenarbeiten und mit dieser Person dann performen?“ Das werden dann in diesem Fall Stationen sein, an denen ich mit Instruktionen, sei es gezeichnet oder geschrieben, arbeite. Ein anderes aktuelles Projekt ist ein wenig politischer, da ich mich mit mitteleuropäischer Geschichte und Minderheiten beschäftige.
i-ref: Deine Arbeit hat ja oftmals einen sozialen und politischen Kontext. Wie politisch ist Kunst für dich?
Hannes: Kunst hat natürlich immer mit Öffentlichkeit zu tun und bekommt relativ viel, ja eigentlich überproportionale Aufmerksamkeit, wenn wir ehrlich sind. Da steckt natürlich auch sehr häufig öffentliches Geld dahinter und das bedeutet im Rückschluss natürlich auch, dass sie per se politisch ist. Ein Museum beispielsweise ist ja immer sehr politisch.
„Kunst darf alles und legt etwas auf den Tisch, ohne sich per se exakt dafür oder dagegen zu entscheiden.“
i-ref: Und das beutetet für dich, es ist schon ein Tool, um dich auszudrücken, auf bestimmte Themen zu lenken und nicht nur reine Hinwendung zum künstlerischen Sein?
Hannes: Ja, auf jeden Fall! Kunst ist ein Tool, obgleich das nicht bei jedem Künstler so der Fall ist. Logisch. In einem anderen Beruf ginge das natürlich auch, aber die Vielfalt der Medien in der Kunst ist das für mich eigentlich Faszinierende. Man ist zudem um einiges freier in seinem Tun als ein Politiker.
i-ref: Ja und dann ist es ja wieder Kunst, denn man darf alles?
Hannes: Man darf alles und legt etwas auf den Tisch, ohne sich per se exakt dafür oder dagegen zu entscheiden.
i-ref: Hannes, wir stellen fest, dass Partizipation und das Experimentieren eine tragende Rolle in deiner Kunst spielen. Wenn wir dich jetzt abschließend fragen, wo liegt für dich also der Reiz in der Kunst?
Hannes: Die Möglichkeit ist spannender als die Realität. Realität ist fix, sie muss umsorgt werden und auf sie muss man immer Acht geben. Ich liebe das vermeintliche Potenzial in meiner Arbeit.
i-ref: Das war ein schönes Schlusswort. Danke für deine Zeit, Hannes!
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