PROLOG

Was das Fliegen anbelangt, bin ich über die Jahre stetig gelassener geworden. Meine Flugangst habe ich mit der Pubertät abgelegt und auch Maschinen, denen man ansieht, dass sie ihre besten Tage schon hinter sich haben, schrecken mich nicht wirklich. Auf dem Rollfeld des Flughafens von San Pedro Sula jedoch, wo es nach Kerosin und heißem Asphalt riecht und die Startbahn im Flimmern des Horizonts verschwindet, tut es Not, mir noch mal mit Nachdruck in Erinnerung zu rufen, wie unwahrscheinlich es ist, dass diese Stahlvögel einfach vom Himmel fallen.

Nach vier berauschenden Tagen in Panama sind wir nach Honduras geflogen, um unsere Reise nach Zentralamerika hier fortzusetzen. Drei Tage lang reise ich durch ein Land, das auf den Landkarten lange Zeit als schwarzer Fleck galt und in Europa höchstens durch negative Schlagzeilen von sich reden machte. Erst in den jüngeren Jahren erfährt der Tourismus eine Aufwertung, was unter anderem dazu führte, dass die CNN Honduras in die Liste der Top-Reiseziele für das Jahr 2016 aufnahm.

Unser erstes Ziel liegt aber nicht auf dem Festland, was erklärt, dass ich nun in einem Flieger mit etwa zwanzig Sitzen sitze und bang hoffe, die beiden Propeller mögen nicht aufhören zu rotieren. Zur allgemeinen Beruhigung hat der Pilot die Türe zum Cockpit einfach offen gelassen, damit sich die Passagiere vergewissern können, dass dort auch alles mit rechten Dingen zugeht.

Nun, die Propeller halten durch und so setzen wir nach halbstündigem Flug auf der Landebahn von Roatán auf.

ROATÁN – "WE HAVE IT BEAUTIFUL HERE, HM?"

Roatán ist die größte der Islas de la Bahía, die etwa 60 km vor der honduranischen Nordküste im karibischen Meer liegen. Von oben erinnert die Insel ein bisschen an ein Krokodil, wie sie sich so lang streckt, umgeben von einem türkis schimmernden Ring, der schon eine freudige Ahnung davon gibt, was mich erwartet.

Kaum bin ich aus dem schattigen Flughafengebäude herausgetreten, blinzle in das grelle Licht der Sonne und lege mir noch die ersten spanischen Sätze zur Begrüßung der wartenden Guides zurecht, als mir Emsley, ein baumgroßer Insulaner, der aussieht wie der unbekannte Zwillingsbruder von Cuba Gooding Jr., zu meiner Verblüffung in kaugummizähem amerikanischen Englisch zuvorkommt, mein Gepäck im Fond des Vans verstaut und mich auf der Insel willkommen heißt. Obwohl die Insel offiziell zu Honduras gehört, wo Spanisch die Amtssprache ist, dominiert hier das Englische. Das liegt zum einen daran, dass Roatán, wie sich das für eine Karibikinsel gehört, einst die Rum schwangere Basis für 5000 englische Piraten war und andererseits am Kreuzfahrthafen, der seit den 1970er-Jahren beinahe täglich vornehmlich nordamerikanische Kreuzfahrtouristen an Land spült. Auch die Ortsnamen reflektieren diese legendenbildende Vergangenheit: Coxen Hole zum Beispiel, die größte Stadt der Insel und Standort des Hafens, ist nach dem Kapitän John Coxen benannt, der hier eine Siedlung gründete.

Das Hotel, in dem wir die schwülen Nächte verbringen, befindet sich am westlichsten Ausläufer in West Bay, dem Teil der Insel, der mit den vielen riesigen Resorts und Tauchschulen am stärksten am Massentourismus ausgerichtet ist. Jetzt in der Nebensaison sind die meisten Liegen am gepflegten Sandstrand allerdings unbelegt, was uns die Ruhe eines Sonnenuntergangs beschert, der sich in seiner ganzen kitschigen Pracht purpurn entfaltet und – als die Sonne schon fast am Horizont verschwunden ist – diesen Acrylgemälden ähnelt, die man in der Dekoabteilung von Einrichtungshäusern kaufen kann. Wer möchte, kann im fein zwischen den Zehen rieselnden warmen Sand bis nach West End flanieren. Der kleine Ort schmiegt sich ganz schmuck in die Half-Moon Bay und reiht einige Cafés, Bars und Restaurants entlang einer einzigen Straße, die frisches Seafood und deftige Baleadas, den traditionellen honduranischen Snack, anbieten.

Fast auf ganzer Länge faltet sich die Insel zu einem dicht bewaldeten Bergrücken auf, der unzählige Tier- und Pflanzenarten beheimatet, deren manche nur noch auf Roatán vorkommen. In diesem grünen Streifen, unweit von West End, liegt auch der Gumbalimba Park, eine etwas merkwürdige Mischung aus Erlebnispark, Botanischem Garten und Wildreservat. Dort kommt es schon am ersten Inseltag zu einer für mich schicksalhaften Begegnung. Ich treffe Ramón und bin von dem Moment an, in dem er sich, angelockt von den dargebotenen Trockenfrüchten, auf meine Schulter setzt und mit seinem weichen Schwanz an meinen Hals klammert, schockverliebt. Ramón ist ein Kapuzineräffchen und ich wünsche mir seit Jahren einen solchen kecken Gefährten, der mich durch den Alltag begleitet. Justin Bieber hatte mal eine ähnliche Idee, machte die Rechnung aber ohne den aufmerksamen Zoll am Flughafen München, der seinen Affen „Mally“ kurzerhand in Gewahrsam nahm. Das mit uns soll wohl nicht sein, der Abschied zerreißt mir das Herz.

Der größter Schatz der Insel und Magnet für Taucher aus aller Welt liegt vor der Küste: Das Mesoamerikanische Riff ist das zweitgrößte Korallenriff der Welt nach dem Great Barrier Reef in Australien und erstreckt sich von der Spitze der Halbinsel Yucatán in Mexiko über 1000 km bis zu den Islas de la Bahía. Um dieses natürliche Spektakel ungestört von Tauchschülern und Ausflugsbooten genießen zu können, bringt uns Emsley in den südöstlichen Teil der Insel, nach Oak Ridge, wo er selbst aufgewachsen ist. Die meisten Häuser in diesem kleinen Ort, der sich über beide Seiten einer Bucht ausbreitet, ist auf Stelzen gebaut und durchzogen von Kanälen und natürlichen Tunneln aus Mangroven, Mit dem Schnellboot fahren wir hinaus bis zu einer Stelle im seichten Wasser, wo ein kleines Bootswrack im sandigen Grund liegt, das jetzt von Kolonien bunter Fische bewohnt wird. Nach ausgiebiger Erkundung mit Schnorchel und Taucherbrille setzen wir unsere Fahrt bis zu einem monolithischen Felsen fort, der über und über mit dichtem Gestrüpp bewachsen ist und wohl als Geheimtipp gilt. Mit dem Eintauchen eröffnet sich mir der weite Blick auf einen formenreichen Unterwassergarten, der mit den Fischen um die leuchtenderen Farben wetteifert. Großblättrige Korallen und zarte Anemonen wiegen im sanften Rhythmus der Strömung, während Schwärme winziger Fische von lilaner Färbung meinen Flossenbewegungen ausweichen. Als ich später wieder ins Boot steige, sagt Emsley – halb als Frage, halb als Feststellung: „We have it beautiful here, hm?“ Ja, das habt ihr.

PUNTA GORDA – DIE WIEGE DER GARÍFUNA

Punta Gorda unterscheidet sich eigentlich kaum von anderen karibischen Ortschaften. Ein paar ins palmengrün gewürfelte, pastellfarben leuchtende Häuschen entlang einer staubigen Asphaltstraße, zum Strand hin einige Holzverschläge und windschiefe Bootsanleger mit Einbaumbooten. Und doch ist dieser unscheinbare Ort, der quasi gegenüber von Oak Ridge an der Nordküste liegt, von außerordentlicher Bedeutung für die Geschichte dieser Insel und ihrer Bewohner: Wir betreten die erste Siedlung der Insel und die Wiege der Garífuna-Kultur auf Roatán.

Während das Festland von den Spaniern besetzt wurde, war es die Seemacht England, welche die Insel unter ihre Kontrolle brachte und im Jahr 1797 über 2000 schwarze Kariben von der Antilleninsel Saint Vincent hierher deportierte. Diese Gruppe ehemaliger Sklaven begann im Fortlauf der Zeit eine eigene Sprache und Kultur auszuformen, in der sich kreolische, britische und spanische Elemente zu einer bis heute sorgsam gepflegten Identität mischten, und verbreitete sich, von Punta Gorda ausgehend, als Volk der Garífuna in fast alle Länder Zentralamerikas.

Wie die Vielfalt dieser Einflüsse sich in der Küche der Garífuna niederschlägt, erfahren wir auf einem hölzernen Pavillon, der auf Stelzen in den sandigen Grund des ruhig daliegenden Ozeans gebaut wurde und durch einen Steg mit einer Hütte am Strand verbunden ist, die sich beim Betreten als Imbiss zu erkennen gibt. Der unentwegt selig grinsende Eigentümer, der vorhin noch in einem Plastikstuhl gedöst hatte, serviert Machuca, eine mit Hummer, Fischfilet, Shrimps und Muschelfleisch angereicherte Kokossuppe, von einem würzigen Teig aus Kochbananen begleitet und Inbegriff der hiesigen Kulinarik, die gespeist wird von dem, was die Fischer Tag für Tag aus dem Meer fördern.

Die Vermählung der süßlichen Kokosnuss mit der salzigen Frische des Fisches explodiert am Gaumen, aber es ist völlig unmöglich, die Portion zu bewältigen, ohne Gefahr zu laufen, augenblicklich zu platzen. Machuca stärke – so wird uns von allen Seiten versichert – das Immunsystem und sei der Grund dafür, dass hier alle so gesund sind. Das mag aber vielleicht auch am Bedürfnis liegen, die nächsten drei Tage durchzuschlafen, wenn man das Mahl beendet hat. Wie dem auch sei, das Übriggebliebene reichen wir an die Jungs weiter, die von den Stützbalken des Pavillons aus Schnüre mit Angelhaken ins Wasser hielten, aber offensichtlich noch erfolglos blieben.

Man merkt, wie sich das Meer in die Natur dieser Menschen eingeschrieben hat. Von klein auf begleiten die Kinder ihre Väter auf den Fischerbooten, lernen Netze zu knüpfen und den Fang zu verarbeiten. Und vielleicht mag der wachsende Tourismus das Leben der Garífuna verändern, an ihre Wurzeln wird er nicht heranreichen.

LA CEIBA – DIE KARIBIK VOR SICH, ZWEI NATIONALPARKS IM RÜCKEN

Tegucigalpa denkt, San Pedro Sula arbeitet und La Ceiba feiert. Die Aufgabenverteilung zwischen den drei größten Städten von Honduras ist klar formuliert. Zum Ende unserer Reise sind wir noch einmal auf das Festland zurückgekehrt, um die Stadt zu besuchen, die aufgrund ihrer Lage an der Nordküste als Tor zu den Islas de la Bahía gilt. Doch bevor wir der sprichwörtlich gewordenen Feierwut der Bewohner von La Ceiba auf den Grund gehen, gilt es, den Blick auf die ins milchige Licht des Morgens getünchten Berge zu richten, deren grüne Hänge diese rasterförmig geordnete Stadt an die Küste spülen.

La Ceiba hat nämlich nicht nur die karibische See mit all ihren Inseln vor sich, sondern auch zwei der imposantesten Nationalparks des Landes im Rücken – Pico Bonito und Nombre de Dios, getrennt nur vom Rio Cangrejal. Dort, am Ende einer Schotterpiste, die einen mit jedem Schlagloch spüren lässt, dass man am Leben ist, treffen wir Pepe Herrero in seiner umwerfenden Lodge, deren offene Terrasse dem hinter dunstverhangener Vegetation rauschenden Fluss zugewandt ist. Pepe ist energischer Umweltaktivist und einer der Pioniere, die das Tal und den Fluss touristisch erschlossen haben. In wenigen Wochen will er hier ein Hotel eröffnen, das er mit den feinsten Hölzern aus seiner Forstwirtschaft in den dichten Wuchs des Hangs gebaut und im Stil seinem eigenen Zuhause nachempfunden hat. Überhaupt sei der Ökotourismus der größte Trumpf dieser Region und deshalb will er Individualreisenden und Forschergruppen, welche die Biodiversität der Wälder zu erforschen kommen, großzügige Rabatte gewähren.

Einen weiteren Trumpf, der inn- und ausländische Touristen in das Tal zieht und die zahlreichen Eco-Lodges entlang des Flusses füllt, lerne ich gleich selbst kennen. Mit festgezurrter Schwimmweste am Körper, Helm auf dem Kopf und Paddel über der Schulter stehe ich bis zu den Knien in angenehm kühlem, glasklarem Wasser und versuche, mich auf die Instruktionen des Guides zu konzentrieren, der soeben das Gummiboot für die wilde Fahrt den Fluss hinunter bereit macht. Rafting ist angesagt!

Obwohl der Rio Cangrejal zu dieser Zeit wenig Wasser führt und ich mich gerade noch übermütig darüber ausließ, dass das ja wohl ein Kinderspiel würde, merke ich bei der ersten Stromschnelle, spätestens aber beim ersten Drop, meine bittere Selbstüberschätzung. Gischt spritzt mir ins Gesicht, mit den Füßen suche ich krampfhaft nach Halt, das Ruder im Anschlag, bis das nächste Kommando des Guides schallt. Die Kraft des Wassers hat hier über Jahrhunderte hinweg ein Flussbett mit tückischen Wendungen, steilen Stufen und ausgewaschenen Felsen geformt. Wie muss das erst in der Regenzeit sein? Nach etwa einer Stunde und etlichen adrenalinbedingten Jauchzern gibt der Fluss das Boot im flachen Teil wieder frei, wo sich auch die Einheimischen wieder zum Baden ins Wasser trauen. Völlig durchnässt und ungemein euphorisiert wie wir sind, lädt Pepe uns noch zu einem Bier auf seiner Terrasse ein, das passenderweise den Namen Salva Vida (Lebensretter) trägt.

Am Abend dann, der mein vorerst letzter in Honduras ist, nutzen wir die Wärme, die auch nach Sonnenuntergang noch tropisch auf die Stadt drückt, für einen Spaziergang auf der neuen Uferpromenade von La Ceiba. Als Park angelegt und erst im letzten Jahr mit großem Tamtam eingeweiht, ist der Malecon gut ausgeleuchtet und permanent von der Polizei überwacht. In Honduras, wo die Idee des öffentlichen Raumes nicht dieselbe ist wie in Europa und es deshalb kaum Orte gab, an denen man sich außerhalb des eigenen Heims einfach so treffen konnte, sind das entscheidende Vorteile. Dementsprechend belebt ist das hölzerne Pier. Pärchen sagen sich unterm Sternenhimmel schöne Worte, Familien halten auf Parkbänken Rat, graue Herren versuchen ihr Glück mit der Angel. Von einer neonbeleuchteten Bar weht spanischer R’n’B herüber. Die Nacht ist schön.

Ob die Stadt ihrer Rolle als Zentrum der fiesta gerecht wird, lässt sich leider nicht umfänglich beantworten, da für mich schon im Morgengrauen des nächsten Tages der Rückweg beginnt und meine Reise nach Zentralamerika zu Ende geht.

EPILOG

Im Prolog meines ersten Berichts aus Panama habe ich geschrieben, dass jede Reise für mich mit dem Moment beginnt, da das Flugzeug im Landeanflug durch die Wolken bricht. Für das Ende einer Reise lässt sich das nicht so einfach sagen. Wann endet eine Reise? Wenn ich wieder im Flugzeug sitze und die Klimaanlage mir den Schnupfen ins Gesicht bläst? Wenn ich zuhause ankomme und versuche, den Jetlag abzuschütteln? Wenn die Gedanken sortiert und alle Geschichten erzählt sind?

Eine Reise produziert Erinnerungen, die mit bestimmten Gefühlen aufgeladen sind. Diese Erinnerungen können natürlich verblassen, sie werden schwächer, drohen bisweilen zu verschwinden. Doch wenn man die Geschichten wieder liest, die Bilder wieder ansieht, dann kehrt das Gefühl zurück. Egal, wie lange die Reise zurückliegt.

Ich hatte nur eine Woche Zeit, dieses Gefühl wieder zu finden, dem ich seit meiner Reise nach Mexiko nachspüre, dem Takt des „anderen Amerika“, in Panama und Honduras habe ich ihn wieder vernommen.

i-ref IN ZENTRALAMERIKA

Dieser Bericht ist der dritte und letzte Teil von Dominiks Reise nach Panama und Honduras. Den ersten Teil findet ihr hier, den zweiten hier. In Kürze gibt es den gesamten Trip auch in der Shortlist zusammengefasst.

KOOPERATION

Die Reise nach Panama und Honduras fand in Kooperation mit der Central America Tourism Agency statt.

Eindrucksvolle Bilder, Geschichten und Tipps für eine Reise in die beiden Länder findet ihr auch bei Facebook, Instagram und Twitter!

Wir danken für das wunderbare Programm und die Organisation dieser Reise!