ATEMBERAUBEND, BEEINDRUCKEND, ELEKTRISIEREND

Letzte Woche bin ich zurückgekehrt aus einer der – meiner Ansicht nach – beeindruckendsten und atemberaubendsten Megacitys der Welt. Atemberaubend und beeindruckend als Attribute treffen für die Stadt von der ich spreche im Gegensatz zu allen anderen Orten, die ich sonst so bezeichnen würde, nicht aufgrund von besonderer Schönheit zu. Sondern aufgrund von der gewaltigen Kräfte die gerade herrschen: in der 25 Mio Metropole, São Paulo, etwa 400km südlich von Rio de Janeiro.

WIE EIN ELEMENTARTEILCHEN

Man kann es sich als Europäer eigentlich nicht so richtig vorstellen, nein so richtig fassen kann man das nicht. Ich habe etwa drei oder vier Anläufe gebraucht, um ansatzweise zu verstehen, wie die Dinge dort laufen in São Paulo. Um zu kapieren, wie die Bewegung, das Verhalten, das Miteinander funktioniert in dieser Millionenstadt, in deren riesen Schlund der man sich manchmal eher fühlt wie ein völlig verlorenes Elementarteilchen in einem völlig unbekannten Kosmos, der viel zu groß zu sein scheint, für das winzige ich.

ZUM AUSFLIPPEN

Südamerika steckt ganz schön tief in der Scheiße wenn man das mal so ausdrücken darf, an dieser Stelle entschuldige ich mich für mein Jargon, kann ich mich an dieser Stelle aber doch nicht mehr zügeln. Wie ein Land so vor die Hunde gehen kann, das kann man sich doch nicht mehr mit angucken und möchte man dem auf den Grund gehen, ploppt immer nur ein Fragezeichen nach dem nächsten auf. Niemand weiß von nichts, keiner hat Schuld, alle sind korrupt aber keiner mag davon was wissen. Und das Spiel spielen die Brasilianer seit Jahrzehnten – im ganz großen Stil und auf Kosten der Ärmsten.

Am schlimmsten ist diese eine Sache, die ich an São Paulo miterleben durfte. Seit drei Jahren reise ich nun regelmäßig in die Stadt. Wer das kennt, weiß, dass es dann kleine oder große Bauwerke gibt, denen man quasi zusehen kann, wie sie wachsen – oder  eben, wie sie noch im Entstehen zu Ruinen werden, so wie die neue Hochbahn von São Paulo – die niemals fertig gestellt werden wird. Für die Weltmeisterschaft haben sie das unglaubliche Bauprojekt begonnen – und kurz nach der WM gingen dann plötzlich aus mysteriösen Gründen die Gelder aus… das muss man sich mal vorstellen. 2016. In einer Weltmetropole. Im Wirtschaftszentrum Südamerikas.

ENTSPANNUNG ALS PROTESTBEWEGUNG

Wie auch immer, letztlich hilft es ja doch alles nichts, sich aufzuregen. Was mich begeistert, ist das Volk. Die Brasilianer, wie sie trotzdem mit der Ruhe weg jeden Tag auf’s Neue stemmen. Das in Zeiten der einer der schlimmsten Krisen, wo sie sich kaum noch die Hälfte leisten können, als noch vor drei Jahren. Sie sind immer freundlich, niemals nachtragend, immer hilfsbereit und strahlen immer die Ruhe pur aus. So sehr, dass man als Deutscher an mancher Stelle fast etwas überfordert ist. Man könnte ja zu spät kommen. Pünktlichkeit ist relativ, und Glück anscheinend auch. Die Brasilianer lassen sich nicht mehr unter Druck setzen, nicht mehr unterdrücken. Das Leben geht weiter, jeden Tag. Und mit jedem Tag, an dem ich durch die Straßen in Deutschland laufe, hier wo es uns doch eigentlich so gut geht, sehe ich bei weitem nicht so viele zufriedene und lächelnde Gesichter.