Wir machen keinen Hehl daraus: mit unseren Kenntnissen der finnischen Musikszene ist es nicht allzu weit her. Um präziser zu sein, beschränken sie sich auf ein gruseliges Trio aus The Rasmus, Sunrise Avenue und Lordi. Also haben wir das bald anstehende FLOW Festival Helsinki zum Anlass genommen, die Grenzen unseres Wissens ein wenig auszuweiten.

Sucht man nach finnischen Musikern, die in den letzten Jahren auf sich aufmerksam gemacht haben, stößt man unweigerlich auf Mirel Wagner. Sie singt poetisch und anspielungsreich über Melancholie und Vergänglichkeit, das Zusammenspiel ihrer sonoren Stimme und der akustischen Gitarre jagt Gänsehaut-Schauer über den ganzen Körper. Mit ihrem Album „When the Cellar Children See The Light Of Day“ gewann sie als erste finnische Musikerin den Nordic Music Prize 2015. Im August spielt Mirel Wagner zum zweiten Mal auf dem FLOW Festival in Helsinki. Bevor es soweit ist, haben wir im Interview mit ihr über Songwriting, Festivals, Finnland und ein Treffen mit Noel Gallagher gesprochen.

SONGWRITING

i-ref: Musik zu machen, scheint für dich ein recht einsamer Beruf zu sein: für dein Album „When The Cellar Children See The Light Of Day“ arbeitetest du, neben dem Produzenten Vladislav Delay, nur mit einem anderen Musiker zusammen. Weil du die absolute künstlerische Freiheit über deine Arbeit behalten möchtest?

Mirel Wagner: Ja, so könnte man das sagen. Da ich die Songs selbst schreibe, gibt es für mich kaum Raum für Kollaborationen.


In dem kurzen Einführungstext auf der Website des Flow und auch auf der Website deines Plattenlabels wird deine Musik mit Künstlern wie Nick Cave oder Swans verglichen. Stören dich diese stilistischen Parallelen, die vor allem Musikjournalisten gerne ziehen?

Nein, die stören mich nicht. Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt schlecht sein kann, mit Musikern dieses Formats verglichen zu werden. Es ist eigentlich ganz schön. Aber ich denke nicht wirklich viel darüber nach.

Für einige Songs deines Albums „When the Cellar Children See The Light Of Day“ hast du dich in eine Blockhütte auf der Halbinsel Hailuoto im Norden Finnlands zurückgezogen. Brauchst du diese Einsamkeit und Stille, um kreativ zu sein?

Nein, die Entstehung eines Songs ist ein sehr langer Prozess. Die Songs zu schreiben, macht dabei nur einen kleinen Teil dessen aus, was man gemeinhin als Songwriting bezeichnet. Um kreativ zu sein, brauche ich nichts weiteres als die passende Geisteshaltung.

Es gibt diese Künstler, die behaupten, dass Songwriting pure Freude ist und beinahe wie von selbst aus ihnen heraussprudelt, ganz so, als schrieben sich die Songs von alleine. Wie ist das für dich- mehr Freude oder harte Arbeit?

Vielleicht ist es ein bisschen, wie Kinder großzuziehen: Man blendet die unschönen Seiten aus und fokussiert die guten Seiten. Ein bisschen von beidem also, würde ich sagen.

„Wenn man dann das Papier zur Hand nimmt, wird alles real. Das ist einerseits ein bisschen traurig, macht andererseits aber auch viel Spaß und ist aufregend.“

Also bist du ziemlich erleichtert, wenn du ein Album abgeschlossen hast. Aber auch ein bisschen traurig?

Natürlich, ich bin immer etwas traurig, wenn ich Songs schreibe, weil die Ideen für die Songs so lange in meinem Kopf herumschwirrten. Wenn man dann das Papier zur Hand nimmt, wird alles real. Das ist einerseits ein bisschen traurig, macht andererseits aber auch viel Spaß und ist aufregend.

Die Welt in deinen Songs ist voller Fragilität und Melancholie, die Moderne wird darin aber fast vollständig ausgeschlossen. Bist du der modernen Zeiten überdrüssig? Wünscht du dich manchmal in der Zeit zurück?

Ich habe mich immer für Geschichte, Zeitreisen und diese Dinge interessiert. Vielleicht hilft das dabei, sich mit einer Art universellem Raum zu verbinden, in dem Dinge, die an eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Ort gebunden sind, zu überwinden.

Im modernen Musikbusiness ist es wichtig, im Internet, vor allem auf Social Media-Plattformen Präsenz zu zeigen. Viele Künstler sehen darin eine große Chance, schneller Bekanntheit zu erlangen und ein Publikum für die eigene Arbeit zu finden. Ist die Auseinandersetzung damit ein notwendiges Übel für dich oder macht dir das Spaß?

Darüber habe ich eigentlich noch gar nicht richtig nachgedacht. Es ist definitiv ein direkter Weg mit Menschen zu kommunizieren, seine Musik und andere Dinge zu teilen. Trotzdem glaube ich nicht, dass es notwendig ist, sich darauf einzulassen, wenn man sich nicht wohl dabei fühlt.

Ich fühle mich mit Social Media nicht wirklich wohl, deshalb lasse ich es meistens bleiben. Manchmal schreibe ich mal was auf meiner Facebook-Page, bin aber längst nicht so offenherzig wie andere Künstler, die Einblicke in ihre kreativen Prozesse und so weiter geben.

Was Singer-Songwriter betrifft, redet man viel über Authentizität. Versuchst du Themen aus deiner eigenen Biographie in deinen Lyrics zu verarbeiten oder nimmst du lieber die Rolle eines Geschichtenerzählers oder Performers ein?

Ich bin ein großer Bewunderer von Geschichtenerzählern and Performen, deshalb würde ich mich selbst gerne als einer sehen. Manchmal lasse ich meine Sicht auf die Welt natürlich in die Texte einfließen, weil ich nicht in die Köpfe anderer gucken kann. Ich kann es aber versuchen und hier kommt die Fantasie und Vorstellungskraft ins Spiel, um die Verbindungen dazu herzustellen, was sein kann und was ist.

Für eine Frau Mitte 20 ist es recht ungewöhnlich sich mit Tod und Sterblichkeit auseinanderzusetzen. Woher kommt dieses Interesse?

Das weiß ich gar nicht. Ich habe seit meiner Kindheit immer gerne gelesen, das ist offenbar einer meiner größten Einflüsse.

„Ich mag die große Vielfalt an Künstlern und Performern. Diese Idee, nicht dem Mainstream zu entsprechen und stattdessen alles ganz freiherzig zu mischen.“

FESTIVALS

Für Singer-Songwriter mit einer akustischen Gitarre, wie du eine bist, kann es hart sein, nicht in der schieren Masse von Bands und Showacts, die auf großen Festivals versammelt sind, unterzugehen. Warum ist es dennoch attraktiv für dich, auf Festivals zu speielen?

Ja, es kann in der Tat manchmal schwierig sein, wenn man nur eine Stimme und seine Gitarre hat, sich gegen all die Bands und den Lärm durchzusetzen, aber es gibt immer ein paar Leute, die glücklich sind, zuzuhören, die fokussiert und in der richtigen Stimmung sind. Und für die spiele ich auch auf Festivals.


Welche Art von Publikum magst du eigentlich lieber, wenn du auf der Bühne bist: das jubelnde, anfeuernde oder das ruhig zuhörende?

Ich mag die Leute, die nur zuhören. Ich denke, das ist das beste Publikum. Aber solange das Publikum sich wohlfühlt und gerne zuhört, ist alles fein.

Im August wirst du zum zweiten Mal auf dem FLOW Festival Helsinki spielen. Wenn du auf deinen Auftritt im letzten Jahr zurückblickst, was mochtest du am FLOW Festival?

Ich mag wirklich die große Vielfalt an Künstlern und Performern. Diese Idee, nicht dem Mainstream zu entsprechen und stattdessen alles ganz freiherzig zu mischen. Das ist sehr schön.

Findest du überhaupt die Zeit, dir auch andere Acts anzusehen?

Es kommt darauf an, manchmal hab ich Zeit, mir andere Bands anzusehen, aber manchmal bin ich so nervös, dass ich versuche, mich nur auf mich selbst und meinen eigenen Auftritt zu konzentrieren. Darüber vergesse ich oft alles andere.

Du hast einen ziemlich straffen Festivalsommer mit Veranstaltungen über ganz Europa verteilt vor dir. Wie konterst du den ganzen Stress, den diese vielen Reisen mit sich bringen?

Es ist wichtig, Dinge zu finden, die man wirklich mag, um seine freie Zeit darauf zu verwenden. Ob es nun Essen, Fernsehen oder Spazierengehen ist. Die einzige Sache, die ich wirklich regelmäßig tue, ist, viel Nivea-Creme zu benutzen, weil meine Haut auf Flügen so schnell austrocknet. (Lacht)

FINNLAND

Hast du jemals daran gedacht, auf Finnisch zu singen?

Ich habe es sogar schon getan. Aber als ich angefangen habe, Songs zu schreiben, habe ich immer auf Englisch geschrieben, das kam ziemlich selbstverständlich. All die Songs, die ich damals gehört habe und die mich beeinflusst haben, waren auf Englisch, deshalb wohl.

Darf ich den Titel deines Albums „When The Cellar Children See The Light Of Day“ als Metapher für die langen finnischen Winter interpretieren?

Du darfst gerne interpretieren, was du möchtest. Ich kann dir nicht vorschreiben, was es bedeutet. Aber ja, wir haben hier ziemlich lange, dunkle Winter und kurze Sommer, deshalb liegt das ja nahe. Wir alle freuen uns doch auf den Sommer.

Beeinflusst die Umwelt, die dich umgibt, deine Stimmung und damit die Art und Weise, wie du Songs schreibst?

Hm, vielleicht in gewisser Weise. Die Natur ist natürlich auch Teil meines Lebens. In Finnland gibt es viele Seen, in meinen Lyrics kommt Wasser vor, die Verbindung ist also da.

Ich muss zugeben, dass ich mit der zeitgenössischen finnischen Musikszene nicht allzu vertraut bin. Welche finnischen Künstler würdest du mir empfehlen, um diese weiße Stelle zu füllen?

In Finnland gibt es viel Musik in finnischer Sprache. Da wäre dieser eine Typ, der ganz witzig und gut ist, Risto. Oh, und die Band 22-Pistepirkko. Die sind auch ziemlich gut und schon seit 30 Jahren oder so zusammen.

FINALE

Im April warst du bei Later With Jools Holland zu Gast- zusammen mit Noel Gallagher, Mumford & Sons und Ghostpoet. Wirst du bei so großen Namen schnell nervös oder war es ein ganz routinemäßiges Konzert für dich?

Ich werde immer nervös, in dieser Hinsicht war es nicht so anders, aber trotzdem natürlich keine reguläre Show, schließlich wurde es für das TV aufgezeichnet. Ich habe ja auch nur einen Song gespielt, in einem Studio, wo viele Leute um dich herumwuseln. Deshalb waren es recht ungewohnte Umstände. Trotzdem war es wundervoll, auch wenn ich richtig aufgeregt war. Im Studio herrschte eine sehr angenehme Atmosphäre, jeder hörte sich die Songs des anderen an.

Vielen Dank für das ausführliche Interview, Mirel!

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MIREL WAGNER LIVE ERLEBEN?

Kein Problem: Es gibt noch Tickets für das Flow Festival in Helsinki. Also Kreuzchen im Kalender machen, Freunde mobilisieren und ran an die Tickets! Wir sehen uns dann in Helsinki.

MIREL WAGNER AUF